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Es war einmal ein Müller, der war schon an sich sehr stark und dick, wollte aber auch fest sein gegen Hieb und Stich, gegen Bolz und Pfeil, darum steckte er sich in eine wunderliche Kleidung. Er ließ sich zuvörderst ein Wams machen, das fütterte er mit Kalk und Sand, und ließ, um das zu verbinden, geschmolznes Pech hineinfließen, hinten machte er ein Futter von mehreren Körben und vorn beblechte er es mit alten Reibeisen und eisernen Hafendeckeln, da wurde das Wams schwerer als der schwerste Brust- und Rückenharnisch, den jemals ein streithafter Ritter trug.
Darüber zog dieser Müller nun drei Hemden, und unter das Wams legte er einen wirklichen Panzer an, über die Hemden auch einen Panzer, und darüber zog er neun lodene Röcke, wie sie die Wollenweber im Schwabenlande noch heute fertigen. Wenn nun der Müller sich mit diesem stattlichen Kleiderbollwerk angetan, wobei er die Beine mit mehr als vier alten übereinander gezogenen Lederhosen verwahrt, so war er ein so stattliches kugelrundes Kerlchen, dass er eben so breit war als hoch, wie eine rechte Kugel sein muss, und konnte schier nicht ohne Gezwang durch ein Stadttor aus- und eingehen, konnte sich auch kaum rühren und regen, und musste denn seine Freundschaft mit ihm gehen, ihn führen und geleiten. Da er nun alljährlich zu St. Oswalds Kirchtag ging und sich auch sehen lassen wollte vor den Leuten, so fuhr er einher auf einem Karren in seiner Rüstung und so gewappnet, wie jedermänniglich noch nie gesehen hatte. Den Wagen zogen vier starke Ochsen, und hinterdrein gingen alle Bauern seines Orts mit ihren Weibern und Kindern, die steckten sich, wenn sich ein Feind zeigte, hinter ihres Müllers Karren, wie hinter eine Feste und Schirmhut. Er war gewaffnet mit zween Spießen und einer Armbrust, an seiner Seite hing ein Schwert einer Mannslänge lang, ein Zweihänder; und neben ihm lag noch ein Bogen nebst einem Pfeilköcher.
Wenn nun der kugelrunde Müller mit seinem Karren und seinen vier Ochsen an einen gewissen Berg kam, über welchen der Weg führte, so harrten seiner dort ein paar Neffen mit Weib und Kindern, die halfen den Wagen in die Höhe hinauf schieben, während vorn noch sechs Ochsen als Vorspann zogen, und so brachten sie ihn denn endlich hinauf mit Ach und Krach und Vergießung vieler Schweißtropfen. Ging es nun auf der andern Seite des Berges wieder abwärts, so musste eingehemmt werden so viel als nur möglich, dass es nicht mit dem Kugelrunden kopfüber kopfunter ging. Wenn seine Sippschaft ihn nun endlich am Ziele hatte, so wurde er mit Leitern und Hebebäumen vom Wagen herabgeschrotet, wie ein großes volles Weinfass, und dann scharten sie sich um ihn her und zumeist hinter ihm wie die Philister hinter ihrem Goliath.
Dabei war der runde Mehlsack von großer Stärke und Unerschrockenheit, und es ging von ihm die Rede, dass er einst in einem Schimpfspiel, wo ein Kämpfer einen Apfel, der andre eine Birne an der Spitze seiner Klinge geführt, und sich ein großer Lärm erhob, dermaßen in den Haufen mitten hinein geschlagen, wie ein Hagelschauer in das Getreide, so dass er vielen Bauern viel Leids gebracht. Aber da war ihm ein Gegner entgegengetreten, stark und kräftig, der führte einen Hauptstreich nach dem Müller, dass seine Blechhaube gleich zu Boden fiel, und meinten alle, die das sahen, der Kopf wäre mit vom Rumpfe geflogen; der kugelrunde Kämpe hatte aber, wie sein Gegner ausholte, seinen Kopf aus der Haube schnell heraus unter die hohe Halsberge gezogen, und jetzt tat er einen Streich nach dem Gegner, der ihm so tief in den Hals schnitt, wie die Sense des Mähers in das Gras. Da fürchteten sich alle vor dem gewaltigen Mann, dem die Taten, die man von Recken las, nur ein Spaß schienen.
Nun war aber ein andrer Müller in der Nachbarschaft, der war ebenso stark und groß, ebenso kugelnrund und trug auch so ein wohlausgefüttertes und geblechtes Wams, und keiner mochte den andern leiden, weil keiner dem andern nachstand. Und hassten und bekriegten einander schon zehn Jahre. Auf jedem Kirchweihtag, wo sie hinkamen, gerieten sie aneinander, und fochten gegeneinander mit Worten und Waffen; es konnte aber ihrer keiner dem andern etwas anhaben, und beide waren zwei gar sehr gefürchtete Kampfhelden. Der eine Müller hatte einen Sohn, der andre eine Tochter, welche beide einander so sehr liebten, als die Väter einander hassten, darüber wurde der Zwiespalt noch größer, bis endlich gute und einsichtsvolle Freunde sich ins Mittel schlugen und beiden Müllern rieten, gute Freunde zu werden und ihre Kinder miteinander zu verheiraten.
Wie das Gerücht vom Bündnis der beiden Müller ins Land erscholl, und dass sie sogar ihre Kinder miteinander verheiraten wollten, da erhob sich große Unruhe und Besorgnis, denn jedermänniglich konnte sich nun an den Fingern abzählen, dass die beiden Kugelrunden sein würden wie zwei Mühlsteine, zwischen denen alles, was ihnen zu nahe käme, würde aufgerieben werden. Und wer jetzt dem einen Müller zu nahe trat, der hatte es gleich mit beiden zu tun, und konnte kein Fürst beide Wämser überwinden, denn die Müller glichen runden Burgen, waren auch nicht auszuhungern durch eine Belagerung, denn sie hatten auch in ihren Wämsern manche Metze gefasst, von der sie zehren konnten lange Zeit. Da aber nun die beiden unüberwindlichen Helden also mannhaft waren, dass selbst der Kaiser große Mühe gehabt haben würde, sie zu überwältigen, so musste man nur froh sein, dass sie ihre große Macht gegen die Feinde des Reiches kehrten, und begehrten gar keinen Sold und Lohn, sondern nur die Ehre, fechten und streiten zu dürfen. Und war das nur ihre einzige Klage, dass so mancher Tag verging, an dem sie keines Gegners ansichtig wurden, weil ihr Ruf so weit und breit genannt war, dass sich alles vor ihnen fürchtete.
Viele tapfre Taten vollführten die beiden kugelrunden Müller, seit sie miteinander verbunden waren, und wenn man diese Taten und die Abenteuer, die durch sie bestanden wurden, niedergeschrieben hätte, so wäre das ein Buch geworden, zweimal so stark wie die Bibel und die Weltchronik. Auch taten sie mehr Wundertaten als alle die Recken, von denen die alten Lieder und Geschichten sagen. Endlich schlugen sie ihre Wohnung in einer Wüste hinten an der Welt Ende auf, und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie heute noch.

Hintergründe
Interpretationen
Analyse
„Die beiden kugelrunden Müller“ von Ludwig Bechstein ist eine ironische und humorvolle Erzählung, die die Geschichte zweier ungewöhnlich starker und massiver Müller erzählt, die sich durch ihre physische und schützende Erscheinung auszeichnen. Die Geschichte ist gefüllt mit überspitzter Darstellung und absurden Details, die typisch für Bechsteins satirischen Stil sind.
Die Rüstung der Müller besteht aus verschiedenen Materialien, die normalerweise nicht für Rüstungen verwendet werden, wie Kalk, Sand und alte Küchengeräte. Dies kann als ironische Anspielung auf den übertriebenen Schutzbedürfnis und Eigensinn der Charaktere gesehen werden. Es repräsentiert auch die Absurdität, wie sie versuchen, ihre Macht durch physische Mittel darzustellen.
Allegorie der Feindschaft und Versöhnung: Die Feindschaft zwischen den Müllern und die letztendliche Versöhnung durch die Verbindung ihrer Kinder könnte als Allegorie für die Unsinnigkeit langwieriger Konflikte und die Möglichkeit der Versöhnung durch nächste Generationen gesehen werden.
Rollentausch: Die Müllerskinder, die sich verlieben, stehen im Gegensatz zu ihren Vätern, die einander hassen. Dies zeigt den Generationskonflikt und die Möglichkeit der Veränderung und Friedenstiftung durch eine neue Perspektive und Liebe.
Sprache und Stil: Der Text ist im märchenhaften Stil geschrieben, mit repetitiven und rhythmischen Strukturen, was typisch für Bechsteins Werke ist. Dennoch ist der gesamte Ton des Märchens stark satirisch, indem er die Darstellungen von Heldentum und Mut übertreibt.
Intertextuelle Anspielungen: Bechstein referenziert bewusst andere Heldenepen und mittelalterliche Sagen, indem er die Geschichten der Müllern über ihre heroischen Taten verherrlicht. Die Erwähnung, dass ihre Geschichten die Bibel und die Weltchronik in der Länge übertreffen würden, verstärkt die absurde Komik der Erzählung.
„Die beiden kugelrunden Müller“ ist ein humorvoller Blick auf menschliche Eitelkeiten und die oft lächerlichen Längen, zu denen Menschen gehen, um Stärke und Überlegenheit zu demonstrieren. Die Geschichte verwendet märchenhafte Motive, um universelle Themen über Friede, Versöhnung und die Grenzen physischer Macht zu erkunden.
„Die beiden kugelrunden Müller“ von Ludwig Bechstein ist ein satirisches Märchen, das die Leser mit seiner humorvollen Übertreibung und der Darstellung absurder Situationen zum Lachen bringt. Es kann auf verschiedene Weisen interpretiert werden, je nachdem, welchen Aspekt man in den Vordergrund stellt.
Satire auf Rüstungswahn und Kriegerkult: Der Müller rüstet sich mit einer absurden Menge an Kleidungsstücken und Rüstungsteilen, bis er sich kaum mehr bewegen kann. Dies kann als Übertreibung des mittelalterlichen Ritters und Kriegerstandes gelesen werden, die oft übermäßig gerüstet waren. Das Märchen könnte kritisch den militärischen Wahn und die Verzerrung von Machtverhältnissen karikieren.
Allegorie auf menschlichen Stolz und Unbeweglichkeit: Die Figur des kugelrunden Müllers könnte als Sinnbild für menschlichen Stolz und die daraus resultierende Unbeweglichkeit und Starrheit gesehen werden. Die physischen Einschränkungen des Müllers durch seine Rüstung spiegeln vielleicht die innere Unfähigkeit wider, flexibel zu sein oder sich mit anderen Menschen zu verbünden.
Parodie auf Heldentum: Das Märchen parodiert Heldengeschichten, in denen der Protagonist durch übermenschliche Stärke und Mut heraussticht. Die beiden kugelrunden Müller sind zwar stark und unerschrocken, aber ihre „Heldentaten“ und die Beschreibung ihrer Ausrüstung wirken stark überzogen und lächerlich. Dadurch wird die Bedeutung und der Ruhm traditioneller Helden infrage gestellt.
Gesellschaftskritik an Nachbarschaftsfehden: Die fortwährenden Streitigkeiten und der letztendliche Friedensschluss zwischen den beiden Müllern könnte auf die Unsinnigkeit und die zerstörerische Natur langwieriger Fehden hinweisen. Die Lösung durch die Heirat der Kinder zeigt eine Möglichkeit auf, alte Konflikte beizulegen und stattdessen Gemeinschaft und Frieden zu fördern.
Komödie über menschliche Beziehungen und Zusammenarbeit: Das Märchen endet mit einer positiv bewerteten Zusammenarbeit der beiden ehemaligen Widersacher. Ihre Allianz steht für das Potential, große Dinge zu erreichen, wenn sich konkurrierende Parteien zusammenschließen. Es deutet an, dass durch Zusammenarbeit und gegenseitiges Verständnis mehr erreicht werden kann als durch endlosen Streit.
Zusammengefasst spielt dieses Märchen mit den typischen Elementen der Heroen-Epik und der mittelalterlichen Abenteuerliteratur, um humorvolle und subversive Einsichten in menschliches Verhalten und gesellschaftliche Normen zu bieten. Es regt zugleich zum Nachdenken über Themen wie Stolz, Konfliktlösung und die Natur von Heldentum an.
Die Erzählung „Die beiden kugelrunden Müller“ von Ludwig Bechstein bietet eine faszinierende Grundlage für eine linguistische Analyse, da sie eine Vielzahl von sprachlichen Besonderheiten und stilistischen Elementen aufweist, die für das Märchen-Genre typisch sind.
Märchenhafte Sprachelemente
Es war einmal: Die Geschichte beginnt mit der charakteristischen Eröffnung vieler Märchen, die die zeitlose und universelle Natur der Erzählung unterstreicht.
Formelhafte Wendungen: Wendungen wie „Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie heute noch“ sind typische Märchenformeln, die zur Schließung der Erzählung beitragen.
Beschreibung und Übertreibung
Hyperbel: Die Beschreibung der beiden Müller und ihrer kugelrunden Gestalt ist stark übertrieben. Diese Übertreibung dient der Komik und unterstreicht die phantastischen Elemente der Geschichte.
Detaillierte Aufzählungen: Die Ausführlichkeit, mit der die Kleidung des Müllers beschrieben wird (z. B. die Schichten von Wämsern und Panzern), trägt zur Visualisierung und Veranschaulichung bei und betont die Absurdität der Situation.
Struktur und Erzählstil
Kompakte Handlungsführung: Typisch für Märchen ist die rasche Abfolge von Ereignissen ohne tiefere psychologische Erklärungen oder Entwicklungen der Charaktere.
Direkte Rede und wörtliche Rede: Dialoge sind in diesem Märchen nicht zentral, was dem allwissenden Erzähler ermöglicht, den Fokus auf die Handlungen und deren Auswirkungen zu legen.
Charakterisierung durch Sprache
Typisierung der Figuren: Die Müller werden weniger als individuelle Charaktere, sondern mehr als archetypische Figuren dargestellt, die gewisse Eigenschaften wie Stärke und Dickköpfigkeit verkörpern.
Fehlen von Namen: Die Protagonisten werden als „die beiden kugelrunden Müller“ bezeichnet, was sie als symbolische Figuren des Märchenuniversums kennzeichnet.
Thematische Elemente
Konflikt und Versöhnung: Die Feindschaft, die durch die Liebe ihrer Kinder überwunden wird, ist ein klassisches Motiv in Märchen, das die Überwindung von Gegensatzpaaren und die Harmonisierung von Konflikten thematisiert.
Kombination von Komik und heroischen Elementen: Die Geschichte spielt mit der Vorstellung von Heldentum, indem sie die kugelrunden Müller in heroische Positionen setzt, aber gleichzeitig durch ihre äußerliche Absurdität ironisiert.
Insgesamt kombiniert Bechstein in dieser Geschichte typische Märchenelemente mit humorvollen und grotesken Übertreibungen, um ein unterhaltsames und phantasievolles Narrativ zu schaffen, das die Leser zum Schmunzeln bringt und gleichzeitig die traditionelle Struktur des Märchens bewahrt.
Informationen für wissenschaftliche Analysen
Kennzahl | Wert |
---|---|
Lesbarkeitsindex nach Amstad | 46.1 |
Lesbarkeitsindex nach Björnsson | 60.7 |
Flesch-Reading-Ease Index | 30.9 |
Flesch–Kincaid Grade-Level | 12 |
Gunning Fog Index | 19 |
Coleman–Liau Index | 12 |
SMOG Index | 12 |
Automated Readability Index | 12 |
Zeichen-Anzahl | 6.311 |
Anzahl der Buchstaben | 5.119 |
Anzahl der Sätze | 25 |
Wortanzahl | 1.030 |
Durchschnittliche Wörter pro Satz | 41,20 |
Wörter mit mehr als 6 Buchstaben | 201 |
Prozentualer Anteil von langen Wörtern | 19.5% |
Silben gesamt | 1.633 |
Durchschnittliche Silben pro Wort | 1,59 |
Wörter mit drei Silben | 110 |
Prozentualer Anteil von Wörtern mit drei Silben | 10.7% |