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Die Schildbürger
Grimm Märchen

Die Schildbürger - Märchen von Erich Kästner

Vorlesezeit für Kinder: 50 min

Waren die Schildbürger wirklich so dumm, wie sie taten? Im Mittelalter, damals, als man das Schießpulver noch nicht erfunden hatte, lag mitten in Deutschland eine Stadt, die Schilda hieß, und ihre Einwohner nannte man deshalb die Schildbürger. Das waren merkwürdige Leute. Alles, was sie anpackten, machten sie verkehrt. Und alles, was man ihnen sagte, nahmen sie wörtlich. Wenn zum Beispiel ein Fremder ärgerlich ausrief: „Ihr habt ja ein Brett vorm Kopf! „, griffen sie sich auch schon an die Stirn und wollten das Brett wegnehmen. Und meinte ein anderer ungeduldig: „Bei euch piept es ja!“, so sperrten sie neugierig die Ohren auf, lauschten drei Minuten und antworteten dann gutmütig: „Das muss ein Irrtum sein, lieber Mann. Wir hören nichts piepen.“

Soviel Dummheit brachte manchen durchreisenden Kaufmann der Verzweiflung nahe. Andre wieder lachten sich darüber halbtot. Und mit der Zeit lachte, zu guter Letzt, das ganze Land. Kam jemand von einer längeren Reise zurück, so fragte man ihn auch schon, kaum dass er sich die staubigen Stiefel ausgezogen hatte: „Was gibt’s Neues in Schilda? Erzähle!“ Und wenn er dann, beim Braunbier, den neuesten Schildbürgerstreich auftischte, hielt sich die vergnügte Runde die Bäuche. „Nein“, riefen sie, „wie kann man nur so dumm sein!“

An dieser Stelle muss ich euch ein Geheimnis anvertrauen. Es heißt: So dumm kann man nicht sein! Daraus folgt einwandfrei, dass auch die Schildbürger nicht so dumm waren, sondern dass sie sich nur so dumm stellten! Das ist natürlich ein großer Unterschied! Wer nicht weiß, dass zwei mal zwei vier ist, der ist dumm, und ihm ist schwer zu helfen. Wer es aber weiß und trotzdem antwortet, zwei mal zwei sei fünf, der verstellt sich. So ähnlich wie er machten es die Schildbürger.

Und wer unter euch scharf nachdenken kann, der wird mich etwas ganz Bestimmtes fragen wollen. Nun? Was wird er fragen wollen? „Warum stellten sich die Schildbürger eigentlich so dumm? Warum und wozu? Was hatten sie davon?“ Ganz recht. Was hatten sie davon? Wer lässt sich schon gern vom ganzen Lande auslachen? Wer ist schon gerne, und noch dazu freiwillig, so dumm wie Bohnenstroh? Außer den Schildbürgern wüsste ich niemanden. Und damit ihr sie versteht, muss ich erst einmal erzählen, wie ihre Dummheit zustande kam. Die Geschichte ist ein bisschen verzwickt. Ich kann’s nicht ändern. Passt also gut und genau auf!

Lange, sehr lange bevor die Schildbürger durch ihre sprichwörtliche Dummheit berühmt wurden, waren sie, im Gegenteil, fleißig, tüchtig, beherzt und aufgeweckt. Ja, sie waren sogar tüchtiger und gescheiter als die meisten anderen Leute. Das sprach sich bald herum. Und wenn man sich anderswo keinen Rat mehr wusste, schickte man einen berittenen Boten nach Schilda, dass er Ratschläge einhole. Am Ende kamen allwöchentlich mindestens zwei Gesandte aus fernen Reichen und Ländern, brachten prächtige Geschenke von Königen, vom Kaiser und vom Sultan und baten, Schilda möge ihnen den einen oder anderen klugen Einwohner als Minister, Bürgermeister oder Oberlandesgerichtsdirektor ausleihen. So gingen immer mehr Schildbürger ins Ausland, erwarben sich draußen Rang, Ehren und Orden und sandten regelmäßig Geld nach Hause.

Ruhm, Geld und Titel sind ganz gut und ganz schön. Aber in Schilda selber ging es mittlerweile drunter und drüber. Da die Männer nicht daheim waren, mussten, statt ihrer, die Frauen pflügen, säen und ernten. Die Frauen mussten die Pferde beschlagen und das Vieh schlachten. Die Frauen mussten die Kinder unterrichten, die Steuern einkassieren, die Ernte verkaufen, den Marktplatz pflastern, die Zähne ziehen, das Korn mahlen, die Schuhe besohlen, die Semmeln backen, die Bäume fällen, die Predigten halten, die Scheunen ausbessern, die Diebe einsperren, die Glocken läuten, die Bretter hobeln, den Wein keltern, die Brunnen graben, die Wiesen mähen, die Dächer decken und abends im Wirtshaus „Zum Roten Ochsen“ sitzen.

Das war zuviel! Das Vieh verkam. Die Ernte verfaulte. Es regnete durch die Dächer. Auf dem Marktplatz wuchsen Brennnesseln. Die Uhr am Kirchturm ging vier Stunden nach. Die Kinder wurden frech und blieben dumm. Und die armen Frauen wurden vor lauter Sorgen, Mühen und Tränen hässlich und vor der Zeit krumm und alt. Da schrieben sie ihren Männern einen wütenden Brief, worin zu lesen stand, warum und wieso sie nicht länger ein noch aus wüssten und die Männer sollten sich schleunigst heimscheren!

Da kriegten die Männer einen Heidenschreck, verabschiedeten sich hastig von ihren tiefbetrübten Königen und Kurfürsten und vom Sultan und fuhren, aus allen Himmelsrichtungen, mit der Extrapost nach Hause zurück. Hier schlugen sie erst einmal die Hände überm Kopf zusammen. Sie kannten ihr Schilda gar nicht wieder. Die Fensterscheiben waren zersprungen. Im Hausflur wuchs Moos. Die Wagenräder quietschten. Die Kinder streckten die Zunge heraus. Und der Wind wehte die Ziegel vom Dach. „Das habt ihr von eurer Gescheitheit!“ sagten die Frauen ärgerlich. Und die Männer gingen, ohne ein Wort zu sagen, ins Bett.

Ein paar Tage später trafen sie sich im „Roten Ochsen“, tranken Bier, klagten einander ihr Leid und kratzten sich hinter den Ohren. Draußen vorm Gasthof standen schon wieder fünf Gesandte aus fremden Ländern und baten um Gehör. „Schickt sie weg!“ sagte der Ochsenwirt. „Diesmal können wir unsern guten Rat selber brauchen. Das Hemd ist auch uns näher als der Rock.“ Dann steckte er den Kopf durchs Fenster und rief: „Wir haben leider alle den Keuchhusten!“ Da kletterten die fünf Gesandten auf ihre fünf Pferde und machten sich aus dem Staube. Denn Keuchhusten ist, wie jedes Kind weiß, ansteckend. So hatten die Schildbürger ihre Ruhe, bestellten die nächste Runde Bier, bliesen den Schaum vom Glas und dachten angestrengt nach.

Beim sechsten Glase wischte sich der Schweinehirt den Schnurrbart und sagte: „Ich hab’s!“ Er war lange Zeit Stadtbaumeister in Pisa gewesen, hatte dort den bekannten Schiefen Turm erbaut und galt auch sonst für sehr tüchtig. „lch hab’s!“ sagte er noch einmal. „Die Klugheit war an allem schuld. Und nur die Dummheit kann uns retten.“ Weil sie ihn zweifelnd anschauten, fuhr er fort: „Uns bleibt kein andrer Ausweg. Wir müssen uns dumm stellen. Sonst lassen uns die Könige, der Kaiser und der Sultan nicht in Ruhe.“ „Aber wie stellt man sich dumm?“ fragte der Grobschmied. „Es wird nicht ganz leicht sein“, antwortete der Schweinehirt. „Dumm zu scheinen, ohne dumm zu sein, verlangt viel Scharfsinn. Nun, wir sind gescheite Leute, und so werden wir’s schon schaffen.“

„Bravo!“ rief der Schneidermeister. „Dummsein ist mal was andres!“ Und auch den übrigen gefiel der Vorschlag des Schweinehirten ausgezeichnet. Die nächsten zwei Monate übten sie das Sichdummstellen ganz im geheimen. Dann erst traten sie mit ihrem ersten Streich ans Licht der Öffentlichkeit: mit dem Bau ihres neuen dreieckigen Rathauses. Das machte ihnen einen diebischen Spaß. Nur der Schulmeister hatte Bedenken. „Denn“, sagte er, „wer sich gescheit stellt, wird davon noch lange nicht richtig gescheit. Wer sich aber lange genug dumm stellt, der wird, fürchte ich, eines Tages wirklich dumm.“ Als ihn die anderen auslachten, rief er ärgerlich: „Da habt ihr’s! Es fängt schon an!“ – „Was fängt schon an?“ fragte der Hufschmied neugierig. – „Eure Dummheit!“ rief der Schulmeister. Da lachten sie ihn aus.

Die Schildbürger bauen ein Rathaus

Der Plan, das neue Rathaus nicht viereckig, sondern dreieckig zu bauen, stammte vom Schweinehirten. Er hatte, wie schon gesagt, den Schiefen Turm von Pisa erbaut, der mittlerweile eine Sehenswürdigkeit geworden war, und erklärte stolz: „Ein dreieckiges Rathaus ist noch viel sehenswerter als ein schiefer Turm. Deshalb wird Schilda noch viel berühmter werden als Pisa!“ Die anderen hörten das mit großem Behagen. Denn auch die Dummen werden gern berühmt. Das war im Mittelalter nicht anders als heute.

So gingen also die Schildbürger schon am nächsten Tag morgens um sieben an die Arbeit. Und sechs Wochen später hatten sie die drei Mauern aufgebaut. In der dem Marktplatz zugekehrten Breitseite war ein großes Tor ausgespart worden. Und es fehlte nur noch das Dach. Nun, auch das Dach kam bald zustande, und am Sonntag darauf fand die feierliche Einweihung des neuen Rathauses statt. Sämtliche Einwohner erschienen in ihren Sonntagskleidern und begaben sich mit dem Schweinehirten an der Spitze, in das weiß gekalkte, dreieckige Gebäude.

Die Schildbürger MärchenBild: Oskar Herrfurth (1862-1934)

Doch sie waren noch nicht an der Treppe, da purzelten sie auch schon durcheinander, stolperten über fremde Füße, taten irgendwem auf die Hand, stießen mit den Köpfen zusammen und schimpften wie die Rohrspatzen. Die drin waren, wollten wieder heraus. Die draußen standen, wollten unbedingt hinein. Es gab ein fürchterliches Gedränge! Endlich landeten sie alle , wenn auch zerschunden und mit Beulen und blauen Flecken, wieder im Freien, blickten einander ratlos an und fragten aufgeregt: „Was war denn eigentlich los?“

Da kratzte sich der Schuster hinter den Ohren und sagte: „In unserem Rathaus ist es finster !“ „Stimmt!“ riefen die anderen. Als aber der Bäcker fragte: „Und woran liegt das?“, wussten sie lange keine Antwort. Bis der Schneider schüchtern sagte: „Ich glaube, ich hab’s.“ „Nun?“ „In unserm neuen Rathaus“, fuhr der Schneider bedächtig fort, „ist kein Licht!“ Da sperrten sie Mund und Nase auf und nickten zwanzigmal. Der Schneider hatte Recht, Im Rathaus war es finster, weil kein Licht drin war!

Am Abend trafen sie sich beim Ochsenwirt, tranken ein Bier und beratschlagten, wie man Licht ins Rathaus hineinschaffen könne. Es wurden eine ganze Reihe Vorschläge gemacht. Doch sie gefielen ihnen nicht besonders. Erst nach dem fünften Glas Braunbier fiel dem Hufschmied das Richtige ein. „Das Licht ist ein Element wie Wasser“, sagte er nachdenklich. „Und da man Wasser in Eimern ins Haus trägt, sollten wir’s mit dem Licht genauso machen!“

„Hurra!“, riefen sie alle. „Das ist die Lösung!“ Am nächsten Tag hättet ihr auf dem Marktplatz sein müssen! Das heißt, ihr hättet gar keinen Platz gefunden. Überall standen Schildbürger mit Schaufeln, Spaten, Besen und Mistgabeln und schaufelten den Sonnenschein in Eimer und Kessel, Kannen, Töpfe, Fässer und Waschkörbe. Andre hielten große, leere Kartoffelsäcke ins Sonnenlicht, banden dann die Säcke geschwind mit Stricken zu und schleppten sie ins Rathaus. Dort banden sie die Säcke auf, schütteten das Licht ins Dunkel und rannten wieder auf den Markt hinaus, wo sie die leeren Säcke von neuem aufhielten und die Eimer und Fässer und Körbe wieder vollschaufelten.

Ein besonders Schlauer hatte eine Mausefalle aufgestellt und fing das Licht in der Falle. So trieben sie es bis zum Sonnenuntergang. Dann wischten sie sich den Schweiß von der Stirn und traten gespannt durch das Rathaustor. Sie hielten den Atem an. Sie sperrten die Augen auf. Aber im Rathaus war es noch genauso dunkel wie am Tag zuvor. Da ließen sie die Köpfe hängen und stolperten wieder ins Freie. Wie sie so auf dem Markt herumstanden, kam ein Landstreicher des Wegs und fragte, wo es denn fehle. Sie erzählten ihm ihr Missgeschick und dass sie nicht ein noch aus wüssten.

Er merkte, dass es mit ihrer Gescheitheit nicht weit her sein konnte, sagte: „Kein Wunder, dass es in eurem Rathaus finster ist! Ihr müsst das Dach abdecken!“ Sie waren sehr verblüfft, Und der Schweinehirt meinte: „Wenn dein Rat gut sein sollte, darfst du bei und in Schilda bleiben, solange Du willst.“ „Jawohl“, fügte der Ochsenwirt hinzu, „und essen und trinken darfst Du bei mir umsonst!“ Da rieb sich der Landstreicher die Hände, ging ins Wirtshaus und bestellte eine Kalbshaxe mit Kartoffelsalat und eine Kanne Bier.

Tags darauf deckten die Schildbürger das Rathausdach ab, und o Wunder!, mit einem Male war’s im Rathaus sonnenhell! Jetzt konnten sie endlich ihre Ratssitzungen abhalten, Schreibarbeiten erledigen, Gemeindewiesen verpachten, Steuern einkassieren und alles Übrige besorgen, was während der Finsternis im Rathaus liegen geblieben war. Da es damals Sommer war und ein trockner Sommer obendrein, störte es nicht weiter, dass sie kein Dach überm Kopf hatten. Und der Landstreicher lebte auf ihre Kosten im Gasthaus tafelte mittags und abends, was das Zeug hielt, und kriegte einen Bauch.

Das ging lange Zeit gut: Bis im Herbst graue Wolken am Himmel heraufzogen und ein Platzregen einsetzte. Es hagelte sogar. Und die Schildbürger, die gerade in ihrem Rathaus ohne Dach saßen, wurden bis auf die Haut nass. Dem Hufschmied sauste ein Hagelkorn, so groß wie ein Taubenei, aufs Nasenbein. Der Sturm riss fast allen die Hüte vom Kopf. Und sie rannten durchnässt nach Hause, legten sich ins Bett, tranken heißen Fliedertee und niesten wie die Schöpse. Als sie am nächsten Morgen mit warmen Tüchern um den Hals und mit roten, geschwollenen Nasen zum Ochsenwirt kamen, um den Landstreicher zu fragen, was sie nun tun sollten, war er verschwunden. Da sie nun niemanden hatten, der ihnen hätte helfen können, versuchten sie es noch ein paar Wochen mit dem Rathaus ohne Dach. Als es dann aber gar zu schneien begann und sie wie die Schneemänner am Ratstisch hockten, meinte der Schweinehirt:

„Liebe Mitschildbürger, so geht es nicht weiter. Ich beantrage, dass wir, mindestens für die nasse Jahreszeit, das Dach wieder in Ordnung bringen.“ Sein Antrag wurde von allen, die sich erkältet hatten, angenommen. Es waren die meisten. Und so deckten sie den Dachstuhl, wie vorher, mit Ziegeln.

Nun war’s im Rathaus freilich wieder stockfinster. Doch diesmal wussten sich die Schildbürger zu helfen. Jeder steckte sich einen brennenden Holzspan auf den Hut. Und wenn es auch nicht sehr hell war, so konnten sie einander doch wenigstens ungefähr erkennen. Leider begannen die Späne nach einer Viertelstunde zu flackern. Nach einer halben Stunde roch es nach angebrannten Hüten. Und schon saßen die Männer, wie vor Monaten, im Dunkeln. Es war ganz still geworden. Sie schwiegen vor lauter Erbitterung.

Plötzlich rief der Schuster aufgeregt: „Da! Ein Lichtstrahl!“ Tatsächlich! Die Mauer hatte einen Riss bekommen, und durch ihn hindurch tanzte ein Streifen Sonnenlicht! Wie gebannt starrten sie auf den goldenen Gruß von draußen. „O wir Esel!“, brüllte da der Schweinehirt, „Wir haben ja die Fenster vergessen!“ Dabei sprang er auf, fiel im Dunkeln über die Beine des Schmieds und schlug sich an der Tischkante drei Zähne aus.

So war es. Sie hatten tatsächlich die Fenster vergessen! Sie stürzten nach Hause, holten Spitzhacken, Winkelmaß und Wasserwaage, und noch am Abend waren die ersten Fenster fix und fertig. So wurden die Schildbürger zwar nicht wegen ihres dreieckigen Rathauses, sondern vielmehr durch die vergessenen Fenster berühmt. Es dauerte nicht lange, so kamen auch schon die ersten Reisenden nach Schilda, bestaunten die Einwohner, übernachteten und ließen überhaupt ein gutes Stück Geld in der Stadt, „Seht ihr“, sagte der Ochsenwirt zu seinen Freunden, „als wir gescheit waren, mussten wir das Geld in der Fremde verdienen. Jetzt, da wir dumm geworden sind, bringt man’s uns ins Haus!“

Der versalzende Gemeindeacker

Eines schönen Tages wurde in Schilda das Salz knapp. Und die Händler, die durchs Land zogen, hatten keines zu verkaufen. In Salzburg sei Krieg, erzählten sie. Und in Salzbrunn und in Salzwedel auch. Und man müsse warten, bis der Krieg vorüber sei. Das missfiel den Schildbürgern. Denn Butterbrot ohne Salz, Kartoffeln ohne Salz und Suppen ohne Salz schmeckten ihnen und ihren Kindern ganz und gar nicht. Deshalb beratschlagten sie, was geschehen solle. Und weil ihr Rathaus nun helle Fenster hatte, fiel ihnen auch gleich etwas Pfiffiges ein. Da der Zucker auf Feldern wachse, meinte einer, sei es wohl mit dem Salz nicht anders. Man brauche deshalb auf dem Gemeindeacker, der noch brachliege, nur Salz auszusäen – alles andre werde sich dann schon finden.

So geschah’s. Sie streuten die Hälfte ihres Salzvorrats auf den Acker, stellten Wachtposten mit langen Blasrohren an den Rändern des Feldes auf, für den Fall, dass die Vögel das Salz würden stehlen wollen, und warteten ab. Schon nach ein paar Wochen grünte der Acker, dass es eine Lust war. Das Salzkraut schoss nur so in die Höhe. Die Feldhüter saßen mit ihren Blasrohren auf der Lauer. Aber die Vögel blieben zum Glück aus. Und die Schildbürger rechneten schon nach, wie viel Salz sie ernten würden. Hundert Zentner, meinten sie, könnten sie vermutlich sogar exportieren. Doch da kamen die Kühe und Ziegen aus dem Nachbardorf!

Die Kühe und Ziegen kamen also und trampelten in dem herrlich wachsenden Salzkraut herum. Die Feldhüter schossen mit ihren Blasrohren, was das Zeug hielt. Doch das Vieh machte sich nichts draus. Die Schildbürger wussten sich wieder einmal keinen Rat. Bis der Hufschmied eine Haselnußgerte von einem Strauche losriss und aufs Feld stürzen wollte, um die Tiere zu verjagen. „Bist du toll?“ schrie der Bäcker. „Willst auch du noch unser Kraut niedertrampeln?“ Und sie stürzten sich auf den Schmied und hielten ihn fest. Da rief er: „Wie sonst soll ich denn das Vieh vertreiben, wenn ich nicht ins Feld laufen darf?“ – Ach weiß einen Ausweg“, sagte der Schulmeister. „Du setzt dich auf ein Brett. Vier von uns heben dich mit dem Brett hoch. Und dann tragen sie dich ins Feld. Auf diese Weise wirst du kein einziges Hälmchen zertreten.“ Alle waren von dem Vorschlag begeistert. Man trug, zu viert, den Schmied mit seiner Gerte über den Acker, und er verjagte das fremde Vieh, ohne dem Salzkraut auch nur ein Haar zu krümmen!

Eine Woche später gerieten ein paar Kinder, obwohl es ihnen streng verboten worden war, beim Spielen ins Salzkraut hinein. Sie waren barfuss und sprangen, kaum dass sie drin waren, schreiend wieder heraus und rannten wie der Wind nach Hause. „Es beißt schon! “ riefen sie aufgeregt und zeigten den Eltern ihre Füße und Waden. Überall hatten sie rote Flecken, und es brannte fürchterlich. „Das Salz ist reif!“ rief der Schweinehirt. „Auf zur Ernte!“

Die Schildbürger ließen ihre Arbeit stehen und liegen, spannten die Pferde und Ochsen vor die Erntewagen und fuhren, mit Sicheln, Sensen und Dreschflegeln, zum Gemeindeacker. Das Salzkraut biss ihnen in die Beine, dass sie wie die Lämmer herumhüpften. Es zerkratzte ihnen die bloßen Arme. Sie bekamen rotgeschwollene Hände. Tränen traten ihnen in die Augen und rollten ihnen über die Backen. Und es dauerte gar nicht lange, so warfen sie die Sensen und Sicheln weg, sprangen weinend aus dem Acker, fuchtelten mit den brennenden Armen, Händen und Beinen im Wind und fuhren in die Stadt zurück. „Nun?“ fragten ihre Frauen. „Habt ihr das Salz schon abgeerntet?“ Die Männer steckten die Hände und Füße ins kalte Wasser und sagten: „Nein. Es hat keinen Zweck. Das Salz ist uns zu salzig! “

Ihr wisst natürlich längst, was da auf dem Felde gewachsen war und was so beißen konnte. Es waren Brennnesseln! Ihr wisst es, und ich weiß es. Wir sind ja auch viel gescheiter, als die Schildbürger waren.

Wer am besten reimt, wird Bürgermeister

Da Schilda zum Kaiserreich Utopia gehörte, ist es weiter kein Wunder, dass dem Kaiser von Utopia die Dummheit der Schildbürger bald zu Ohren kam. Da er sich aber in früheren Jahren oft bei ihnen Rat geholt hatte, hielt er das, was man neuerdings über ihre Streiche zu erzählen wusste, für Gerüchte und Gerede. Deshalb beschloss er, selber einmal nach Schilda zu reisen. Er schickte also einen Boten, kündigte seinen hohen Besuch an und ließ ausrichten, sie sollten ihm „halb geritten und halb gegangen“ entgegenkommen und wenn sich ihre Antwort auf seine Begrüßungsworte reime, so werde er Schilda zur freien Reichsstadt ernennen und den Einwohnern die Umsatzsteuer erlassen.

Die Aufregung in Schilda war natürlich groß. Und im Rathaus ging es hoch her. Denn wer von ihnen sollte denn dem Kaiser, wenn er käme, antworten? Noch dazu in gereimter Form? „Das ist doch sonnenklar!“ rief der Schuster. „Unser Bürgermeister muss das tun! “ „Du hast gut reden“, erwiderte der Bäcker. „Wir haben doch gar keinen Bürgermeister!“ Verdutzt sahen sie einander an. Tatsächlich! Sie hatten vergessen, einen Bürgermeister zu wählen! Nun, sie beschlossen einstimmig, gleich am nächsten Tag das Versäumte nachzuholen. „Und wen wollen wir wählen?“ fragte der Schweinehirt neugierig. Da meinte der Ochsenwirt: „Den, der bis morgen das beste Gedicht macht!“ Der Vorschlag gefiel ihnen über alle Maßen. Und sie gingen schleunigst heim, um etwas Hübsches zu dichten. Denn jeder von ihnen wäre selbstverständlich gerne Bürgermeister geworden.

In der folgenden Nacht schliefen sie alle miserabel. jeder lag in seinem Bett und versuchte, irgend etwas zu dichten. Reimen sollte sich’s auch noch! Der Schweinehirt dichtete so angestrengt, dass seine Frau davon aufwachte. Sie zündete eine Kerze an und fragte, was mit ihm los sei. Da verriet er ihr seinen Kummer. „lch finde keinen Reim“, klagte er, „und möchte doch Bürgermeister werden!“ – „Würde ich dann Bürgermeisterin?“ erkundigte sie sich. Und als er nickte, begann sie auf der Stelle eifrig nachzudenken. Schon eine Viertelstunde später hatte sie ein Gedicht fix und fertig:

„Katrine heißt die Gattin mein, möcht gerne Bürgermeist’rin sein, ist schöner als mein schönstes Schwein und trinkt am liebsten Moselwein.“ Sie sprach ihm das Gedicht neunundneunzigmal vor, und er musste es neunundneunzigmal nachsprechen. Da klingelte der Wecker, und der Schweinehirt musste ins Rathaus. Die meisten Gedichte, die man zu hören kriegte, waren nicht viel wert. Der Schuster deklamierte zum Beispiel:

„Ich bin ein Bürger und kein Bauer und mache mir das Leben bitter.“

„Das kann ich besser!“ rief der Hufschmied und dichtete:

„Ich bin ein Bürger und kein Ritter und mache mir das Leben sauer.“

Doch auch seine Verse fanden keinen rechten Anklang. So ging das eine ganze Welle hin, bis dann der Schweinehirt aufgerufen wurde. Er holte tief Luft und sagte mit lauter Stimme: „Meine Frau, die heißt Katrine, wär gerne Bürgermeisterin, ist schwerer als das schwerste Schwein und trinkt am liebsten Bayerisch Bier.“

Dass er damit den Vogel abschoss, wird niemanden von euch wundern. Der Schweinehirt wurde also unter Beifallsrufen zum Bürgermeister von Schilda gewählt. Und er und seine Frau waren aufeinander sehr stolz.

Der Kaiser besucht die Schildbürger

Als ihnen der Kaiser durch seinen Boten hatte ausrichten lassen, die Schildbürger sollten ihm „halb geritten und halb gegangen“ entgegenkommen, hatte er gemeint, wer kein Pferd habe, könne getrost zu Fuß gehen. Aber die Schildbürger zerbrachen sich die Köpfe. Erst dachten sie, sie sollten einen Fuß im Steigbügel und den anderen am Boden haben. Dann hatte der neue Bürgermeister einen noch besseren Einfall. „Wenn wir hölzerne Steckenpferde ritten“, sagte er, „wären wir halb zu Pferd und halb zu Fuß! “ Das war ein Gedanke recht nach ihrem Herzen. Sie ließen sich beim Schreiner Steckenpferde schnitzen, weiße, braune, schwarze und fuchsrote, und als der Kaiser in seiner Galakutsche angemeldet worden war, sprengte ihm ganz Schilda auf Holzpferdchen entgegen.

Die Schildbürger MärchenBild: Oskar Herrfurth (1862-1934)

Der Anblick freute den Kaiser außerordentlich. Deswegen war er später dem Bürgermeister auch nicht sonderlich böse, als dieser auf die kaiserlichen Grußworte keinen Reim wusste. Und die Umsatzsteuer erließ er ihnen trotzdem. Das freute nun wieder die Schildbürger. Und so wurde des Kaisers Aufenthalt zu einem rechten Fest. Er lachte in einem fort, und weil sein Leibarzt sagte, Lachen sei gesund, blieb er sogar einen Tag länger.

Zum Abschied schenkten sie ihm einen großen Topf mit hausgemachtem Senf. Es war nur schade, dass der Bürgermeister den Topf beim Überreichen fallen ließ. Er bückte sich, griff eine Handvoll Senf und wollte den Kaiser wenigstens kosten lassen. Aber der hohe Besuch dankte bestens und meinte, er habe gerade keinen Appetit. Statt dessen überreichte er dem Bürgermeister einen mit Wappen und Siegel geschmückten Freibrief, worin den Schildbürgern völlige Narrenfreiheit zugesichert wurde. So dumm sie sich auch benähmen, hieß es in dem Schreiben, sei es doch bei Strafe verboten, sie zu höhnen, auszulachen und auszupfeifen. Wer es trotzdem tue, müsse eine Narrenmütze mit drei Schellen tragen und den Schildbürger, den er gekränkt habe, im Gasthaus zu einem Essen mit drei Gängen einladen.

Die Schildbürger schrieen „Hurra!“ und sprengten neben dem Galawagen her, bis ihre Holzpferde müde wurden. Der Kaiser reichte dem Bürgermeister zum Schluss gnädig die Hand aus dem Wagenfenster. Der Bürgermeister schüttelte sie herzlich. Leider nahm er dazu die Hand, die er in den Senf getunkt hatte. Er merkte es aber gar nicht. Nur der Kaiser, der merkte es.

Die Kuh auf der alten Mauer

Kaum dass der Kaiser abgereist war, wendeten sich die Schildbürger wieder mit neuem Mut und Eifer ihren Berufen zu. Der Schmied beschlug die Pferde. Der Schulmeister brachte den Kindern das Einmaleins mit der Sieben bei. Der Schuster besohlte die Schuhe. Der Bäcker buk das Brot. Und der Herr Bürgermeister spazierte durch Schilda, um nachzusehen, ob in der Stadt auch alles in bester Ordnung sei. Dabei musste er feststellen, dass auf der Mauer eines Hauses, das vor Jahren altersmüde eingestürzt war, schönes grünes Gras und würzige Kräuter wuchsen.

Diesen Übelstand brachte er während der nächsten Sitzung im Rathaus zur Sprache und erklärte, es sei eine Sünde und Schande, dass Gras und Kräuter auf der Mauer nutzlos wüchsen, blühten und verkämen. Der Ochsenwirt schlug vor, die Mauer abzumähen und wer die Mahd einbringe, der dürfe sie verfüttern. Es meldete sich aber niemand. Denn alle miteinander fanden den Vorschlag zu gefährlich. Die Mauer war hoch und brüchig. Und keiner wollte mit der Sense oder der Sichel hinaufklettern und sich dabei womöglich den Hals brechen.

Schließlich und nach langen Debatten fand der Schreiner einen Ausweg. Er sagte: „Wenn schon das Vieh die Mauer kahl fressen soll, dann, finde ich, soll es auch selber hinaufklettern.“ Dieser plausible Antrag wurde einstimmig angenommen. Außerdem wurde man sich einig, dass der Kuh des Bürgermeisters die Ehre gebühre. Denn der Bürgermeister habe ja das Gras und die Kräuter droben auf der Mauer entdeckt.

Am nächsten Morgen wurde also die bürgermeisterliche Kuh feierlich zur Mauer geleitet. Der Bürgermeister band das Halfter los und sagte: „So, Minna! Nun klettre hinauf und friss! “ Aber die Kuh Minna dachte nicht im Traum daran, hinaufzuklettern! Man schob sie, sechs Mann hoch, dicht an die Mauer. Der Bürgermeister schlug ihr eins hintendrauf, (Nicht der Mauer, sondern der Kuh.) Es half alles nichts. Minna wollte nicht.

Da holten sie einen langen Strick, banden ihn der störrischen Kuh um den Hals, warfen das Ende des Stricks über die Mauer und zogen und zerrten und hingen am Seil wie die Küster an der Kirchenglocke. Dem armen Tier quoll, wie es so in der Luft baumelte, die Zunge aus dem Maul.

Die Schildbürger MärchenBild: Oskar Herrfurth (1862-1934)

„Seht ihr?“ rief der Schneider. „Sie kriegt schon Appetit!“ Und die anderen brüllten munter: „Hau ruck! Hau ruck! Hau ruck! “ Minnas Atemnot wurde immer ärger. Ihre Zunge wurde immer länger. „Gleich wird sie fressen!“ meinte der Schmied. Aber sie fraß nicht. Sie verdrehte die großen dunklen Augen, zappelte noch einmal mit den Haxen, und aus war’s. Man lockerte den Strick, ließ Minna wieder zur Erde herunter und konnte nur noch feststellen, dass sie tot war. Es war ein rechter Jammer Doch die Schildbürger, dumm, wie sie seit einiger Zeit waren, hielten nicht viel vom jammern.

Sie schlachteten Minna, die Kuh, und veranstalteten beim Ochsenwirt ein Festgelage. Mit Kuhfleisch. Auf der Speisekarte stand „Kalbsschnitzel“. Minna, die Kuh, als Kalbsschnitzel beim Ochsenwirt – man kann verstehen, dass es dem Bürgermeister nicht schmeckte. „Liebe Freunde“, sagte er zerknirscht, „an Minnas vorzeitigem Ableben sind einzig und allein unser Scharfsinn und Verstand schuld. Hätte ich das Gras auf der Mauer nicht bemerkt und daraus gefolgert, dass es nutzbringend verwendet werden müsse, wäre das brave Tier noch munter und guter Dinge. Ich fürchte, wir sind noch immer nicht dumm genug.“

Die anderen nickten nachdenklich. Und das Gras und die Kräuter auf der alten Mauer wiegten sich nach wie vor im Sommerwind.

Die versunkene Glocke

Mittlerweile war der Krieg, an Salzburg und Salzwedel vorbei, durchs Land gezogen und schien sich in bedenklicher Weise dem Städtchen Schilda zu nähern. Das erfüllte die Schildbürger und ihre Ratsherren mit großer sorgenden ob nun die jeweiligen Sieger oder die arg Besiegten in eine Stadt kamen, es war immer dasselbe: die Soldaten gingen in die Häuser und nahmen sich, zur Erinnerung an die große Zeit, mit, was sie fanden, ob das nun silberne Patenlöffel, Konfirmationsuhren, Tischdecken, Porzellanteller, Samtwesten oder Trauringe waren. Ihnen war alles recht.

So versteckten die Schildbürger geschwind, was ihnen teuer und wert war. Nur mit der Kirchenglocke wussten sie nichts anzufangen. Sie war aus bester Bronze und ziemlich groß. Und man kannte damals schon die Vorliebe der Kriegsleute für Kirchenglocken. Entweder holte die eigne Partei das tönende Erz aus den Glockenstühlen, um Hellebarden und Spieße draus zu fertigen, oder die Feinde nahmen die Glocken als Andenken mit. So oder so, es war kaum zu vermeiden.

Nun lag aber ganz in der Nähe von Schilda ein stiller, tiefer See. Und der Bürgermeister sagte: „Ich hab’s. Wir versenken die Glocke im See, und wenn der Krieg vorbei ist, holen wir sie wieder heraus.“ Gesagt, getan. Sie holten die Glocke aus dem Kirchturm, hoben sie auf einen Wagen, spannten sechs Pferde davor, fuhren zum See hinaus, trugen sie schwitzend in ein Boot und ruderten ein Stückchen. Dann rollten sie die Glocke bis zum Bootsrand und warfen sie ins Wasser. Schon war sie verschwunden, denn sie wog zwanzig Zentner. Man sah nur noch ein paar Luftblasen aufsteigen. Das war alles.

Die Schildbürger MärchenBild: Oskar Herrfurth (1862-1934)

Anschließend zog der Schmied sein Taschenmesser aus der Joppe und schnitt in den Bootsrand eine tiefe Kerbe. „Warum tust du das?“ fragte ihn der Bäcker. – „Damit wir nach dem Krieg wissen, wo wir die Glocke ins Wasser geworfen haben“, antwortete der Schmied. „Sonst fänden wir sie am Ende nicht wieder.“ Sie bewunderten seine Vorsorge, lobten ihn, bis er rot wurde, und ruderten ans Land zurück.

Nun, der Krieg machte zum Glück einen großen Bogen um Schilda. Man sah nur am Horizont den Staub, den Heer und Tross aufwirbelten. Niemand drang in die Häuser. Die Löffel, Uhren, Teller und Ringe wurden wieder aus den Verstecken hervorgeholt. Und man fuhr mit dem Boot auf den See hinaus, um jetzt auch die Glocke zu heben. „Hier muss sie liegen!“ rief

der Schmied und zeigte auf seine Kerbe am Bootsrand. – „Nein, hier! “ rief der Bäcker, während sie weiterruderten. – „Nein, hier!“ rief der Bürgermeister. – „Nein, hier!“ rief der Schuster. Wohin sie auch ruderten, überall hätte die Glocke liegen müssen. Denn die Kerbe am Boot war ja überall dort, wo gerade das Boot war. Mit der Zeit merkten sie, dass der Einfall des Schmieds gar nicht so gut gewesen war, wie sie seinerzeit geglaubt hatten. Sie fanden also ihre Glocke nicht wieder, sosehr sie auch suchten, und mussten sich notgedrungen für teures Geld eine neue gießen lassen. Der Bäcker aber schlich sich eines Nachts heimlich zu dem Boot und schnitt wütend die Kerbe heraus. Dadurch wurde sie freilich nur noch größer als vorher. Mit Kerben ist das so.

Ein Krebs kommt vor Gericht

Eines Tages geriet ein Krebs nach Schilda. Niemand hätte sagen können, woher er kam, und keiner wusste, was er bei den Schildbürgern wollte. Und da sie noch nie in ihrem Leben einen Krebs gesehen hatten, bemächtigte sich ihrer eine beträchtliche Aufregung. Sie läuteten mit der neuen Kirchenglocke Sturm, stürzten zu der Stelle, wo der Krebs umherkroch, und wussten nicht, was tun. Sie rieten und rätselten hin und her und hätten gar zu gerne gewusst, wen sie vor sich hatten. „Vielleicht ist es ein Schneider“, sagte der Bürgermeister, „denn wozu hätte er sonst zwei Scheren?“

Schon holte einer ein Stück Tuch, setzte den Krebs darauf und rief: „Wenn du ein Schneider bist, dann schneide mir eine Jacke zu! Mit weiten Ärmeln und einem Halskoller!“ Weil das Tier zwar auf dem Tuch vorwärts und rückwärts einherspazierte, aber den Stoff nicht zuschnitt, nahm der Schneidermeister von Schilda seine eigne große Schere und schnitt das Tuch genauso zu, wie der Krebs dahinkroch. Nach zehn Minuten schon war der Stoff völlig zerschnitten. Von einer Jacke mit weiten Ärmeln und einem Halskoller konnte keine Rede sein.

„Mein schönes, teures Tuch!“ rief der Schildbürger. „Der Kerl hat uns angeführt! Er ist gar kein Schneider! Ich verklag‘ ihn wegen Sachbeschädigung!“ Dann griff er nach dem Krebs und wollte ihn beiseite tun. Doch der Krebs zwickte und kniff ihn mit seinen Scheren so kräftig, dass der Mann vor Schmerz aufbrüllte. „Mörder!“ schrie er. „Mörder! Hilfe!“ Nun wurde es dem Bürgermeister zu bunt.

„Erst ruiniert er das teure Tuch“, sagte er, „und nun trachtet er einem unserer Mitbürger nach dem Leben – das kann ich als Stadtoberhaupt nicht dulden! Morgen machen wir ihm den Prozess!“ So geschah es auch. Der Krebs wurde in einer förmlichen Sitzung vom Richter der mutwilligen Sachbeschädigung und des versuchten Mords angeklagt. Augenzeugen berichteten unter Eid, was sich am Vortage zugetragen hatte. Der amtlich bestellte Verteidiger konnte kein entlastendes Material beibringen.

So zog sich der hohe Gerichtshof zur Urteilsfindung kurz zurück und verkündete anschließend folgenden harten, aber gerechten Spruch: „Der Delinquent gilt in beiden Punkten der Anklage als überführt. Mildernde Umstände kommen um so weniger in Betracht, als der Angeklagte nicht ortsansässig ist und die ihm gewährte Gastfreundschaft übel vergolten hat. Er wird zum Tod verurteilt. Der Gerichtsdiener wird ihn ersäufen. Das Urteil gilt unwiderruflich. Die Kosten des Verfahrens trägt die städtische Sparkasse.“

Noch am Nachmittag trug der Gerichtsdiener den Krebs in einem Korb zum See hinaus und warf ihn ins Wasser. Ganz Schilda nahm an der Exekution teil. Den Frauen standen die Tränen in den Augen. „Es hilft nichts“, sagte der Bürgermeister. „Strafe muss sein.“ Der Pastor war übrigens nicht mitgekommen. Weil er nicht wusste, ob der Krebs katholisch oder evangelisch war.

Das Herz auf dem rechten Fleck

Der Krieg hatte zwar um Schilda einen Bogen gemacht. Aber der Kaiser brauchte trotzdem Soldaten. So sandte er überallhin Boten, man solle ihm waffenkundige und tapfere Leute schicken. Die Schildbürger taten ihre Pflicht und schickten ihm ein Dutzend wackre Männer. Sie kämpften unerschrocken in vielen Schlachten und Gefechten. In der Chronik von Schilda kann man darüber nachlesen. Dort erfährt man auch, dass von dem Dutzend, das in den Krieg zog, viele umkamen und insgesamt nur zwölf nach Hause zurückkehrten.

Einer der zwölf, Kilian mit Namen, besaß vom Großvater her ein hartgeschmiedetes Eisenstück. Das ließ er sich, bevor er zu Felde zog, vom Schneider an die Stelle nähen, worunter sein Herz säße. Und hätte er das nicht tun lassen, wär es ihm später schlimm ergangen. Denn als er einmal ein feindliches Huhn verfolgte, liefen Bauern mit Spießen, Stangen und Dreschflegeln hinter Kilian drein. Er rannte nicht etwa, wie man ihm nachgesagt hat, vor den Bauern davon. Dafür war er viel zu sehr mit der Hühnerjagd beschäftigt. Weil er fand, es sei nobler ein feindliches Huhn als den Feind selber umzubringen. Und Hunger hatte er außerdem.

Jedenfalls, als er über einen Zaun sprang, blieb er zappelnd an einer Latte hängen. Die Bauern holten ihn ein und schlugen so lange auf seinen Hosenboden los, bis Kilian dadurch von der Zaunslatte freikam und, hinkend und jammernd und ohne Huhn, bei seiner Kompanie eintraf „Mein Herz!“ rief er, „mein Herz! “ und hielt sich die Hose.

Der Sanitätsfeldwebel, der den Verletzten untersuchte, fand dabei den Eisenfleck, den der Schneider nicht ins Wams, sondern eben in den Hosenboden genäht hatte. „Das Eisen hat dich vor. Schlimmerem bewahrt“, meinte der Feldwebel, „aber warum hat es dir euer Schneider an die falsche Stelle geflickt?“ Da antwortete Kilian stolz: „Weil der Schneider von Schilda weiß, wo bei uns Schildbürgern das Herz sitzt!“

Erziehung in einem Tag oder gar nicht

Ein Schildbürger fuhr mit seinem Sohn in die Kreisstadt zum Schulmeister und sagte: „Man rühmt deinen Unterricht. Deshalb möchte ich meinen jungen ein wenig bei dir lassen.“ – „Was weiß er denn schon?“ fragte der Lehrer und hörte dabei nicht auf, einen Schüler zu verprügeln. – „Er weiß nichts“, antwortete der Schildbürger. – „Und wie alt ist er?“ fragte der Lehrer weiter. – „Erst dreißig Jahre“, meinte der Schildbürger entschuldigend, „was kann er da schon gelernt haben! Ich selber bin fünfundsechzig Jahre alt und weiß nicht das Geringste!“

„Also meinetwegen“, erklärte der Schulmeister. „Lass ihn hier! Doch wenn er nicht pariert und lernt, kriegt er, trotz seiner dreißig Jahre, von mir genauso viel Prügel, als ob er zwölf wäre! “ Das war dem Schildbürger recht. Er versprach auch, die Erziehung gut zu bezahlen. Dann gab er seinem jungen zum Abschied eine Ohrfeige und wollte gehen.

„Einen Moment!“ rief der Lehrer. „Wie lange soll er denn in meiner Schule bleiben, und wann holst du ihn wieder ab?“-„Bald“, sagte der Schildbürger, „Denn viel braucht er nicht zu lernen. Es genügt, wenn er so viel weiß wie du!“ Das verdross den Lehrer ein wenig, und er wollte ganz genau wissen, wann der junge abgeholt würde. „Ganz genau kann ich’s dir nicht sagen“, meinte der Schildbürger. „Es hängt davon ab, wie lange euer Schmied braucht, meinem Pferd ein Hufeisen festzuschlagen. Es hat auf der Herfahrt sehr geklappert. Sobald das Eisen fest ist, hol‘ ich ihn wieder ab.“

„Du bist wohl nicht bei Trost! “ rief der Schulmeister. „Und wenn ich deinen Bengel prügelte, bis mir der Arm wehtäte, auch dann müsste ich ihn mindestens ein Jahr hier behalten, damit er etwas lernt!“ Da nahm der Schildbürger seinen dreißigjährigen Sohn wieder bei der Hand und suchte das Weite. In der Tür sagte er nur noch: „Dass Lernen weh tut und Geld kostet mag hingehen. Doch ein Jahr Zeit ist mir dafür zu schade. Dann soll er lieber so dumm bleiben wie sein Vater.“

Die Folgen der Dummheit für Schilda und die übrige Welt

Dass man in Schilda keine Krebse kannte, wisst ihr schon. Dass man auch noch nie eine Katze gesehen hatte, ist wohl noch viel erstaunlicher. Um so besser wusste man mit Mäusen Bescheid. Sie waren in allen Kellern, Speichern und Küchen, in den Räucherkammern, beim Bäcker und nicht zuletzt beim Ochsenwirt. Bei diesem kehrte eines Tags ein Wanderer ein, der eine Katze bei sich hatte. Da die Schildaer Mäuse nicht wussten, was eine Katze ist, waren sie sehr zutraulich, und in einer halben Stunde hatte die fremde Katze zwei Dutzend Mäuse erlegt. Die anderen Gäste und der Wirt wollten nun wissen, wie das Tier heiße und wie viel es koste. „Maushund heißt es“, sagte der Wandersmann, „und weil Maushunde sehr selten sind, kostet mein Prachtexemplar hundert Gulden.“ Sie liefen zum Bürgermeister, erzählten ihm von dem Maushund und baten, er möge ihn für die Stadt anschaffen.

So geschah es. Als der Wanderer die hundert Gulden bekommen hatte, machte er sich aus dem Staube, falls die Schildbürger der Kauf reuen sollte. Kaum war er aus dem Stadttor hinaus, kam ihm auch schon jemand nachgelaufen und wollte wissen, womit man den Maushund füttern müsse. Der Wanderer rannte, was das Zeug hielt, und rief hastig: „Nur Speck frisst er nie!“ Da schlug der Schildbürger die Hände überm Kopfe zusammen und lief verzweifelt in die Stadt zurück. Er hatte nämlich in der Eile statt „Nur Speck frisst er nie“ verstanden „Nur Menschen und Vieh! “

Das Entsetzen war groß. „Wenn wir keine Mäuse mehr haben werden, wird er unser Vieh und uns selber fressen!“ riefen sie außer sich. „Wo hat er sich versteckt?“ – „Im Rathaus auf dem Speicher! “ So umzingelten sie das Rathaus und schickten ein paar beherzte Männer hinein. Doch die Katze ließ sich nicht greifen. Sie kamen Unverrichtethersache zurück. „Dann müssen wir den Maushund ausräuchern“, rief der Bürgermeister. „Denn um wen wär’s mehr schade? Ums Rathaus oder um uns? “ Da schrieen alle: „Um uns! “ und steckten das Rathaus in Brand.

Die Schildbürger MärchenBild: Oskar Herrfurth (1862-1934)

Als es der Katze zu heiß wurde, kletterte sie aufs Rathausdach. Und als die Flammen die Dachbalken ergriffen, sprang sie mit einem Riesensatz aufs Nachbardach und putzte sich mit der Pfote den angesengten Schnurrbart. „Schaut den Maushund an!“ rief der Schmied. „Er droht uns!“ Und der Bäcker murmelte zitternd: „Wir schmecken ihm schon.“ Da zündeten sie das Nachbarhaus an. Und weil die Katze von Dach zu Dach sprang und die Schildbürger in ihrer Todesangst Haus um Haus anzündeten, brannte um Mitternacht die ganze Stadt. Am nächsten Morgen lag Schilda in Asche. Alles war verbrannt. Nur die Katze nicht. Sie war vor Schreck in die Wiesen gelaufen und verschwunden. Nun saßen die Schildbürger auf den Trümmern ihrer Stadt und ihrer Habe, waren froh, nicht gefressen worden zu sein, und beschlossen schweren Herzens, in alle Himmelsrichtungen auszuwandern.

Das taten sie auch sehr bald. Und so kommt es, dass es heutzutage die Stadt Schilda nicht mehr gibt und die Schildbürger auch nicht. Das heißt: Es gibt sie natürlich noch. Nur ihre Enkel und Urenkel und deren Enkel und Urenkel leben über die ganze Erde verstreut. Sie wissen gar nicht mehr, dass sie von den Schildbürgern abstammen. Von Leuten also, die sich, um glücklich zu werden, dumm stellten und dadurch ins Unglück gerieten, dass sie dumm wurden. Und sie können es auch gar nicht wissen. Denn heutzutage gelangen die Dummen zu Ruhm und Rang, zu Geld und Glück genauso wie die Gescheiten. Woran sollten also die Dummen auf unserer Erde merken, dass sie dumm sind?

Die Schildbürger MärchenBild: Oskar Herrfurth (1862-1934)

Ein einziges Merkmal gibt es, woran man die Dummen erkennt: Mit dem, was sie erreicht haben, sind sie selten, aber mit sich selber sind sie stets zufrieden. Gebt also gut Obacht! Bei den anderen – und bei wem noch? Ganz recht, bei euch!

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Hintergründe zum Märchen „Die Schildbürger“

„Die Schildbürger“ ist kein klassisches Märchen, sondern eine humorvolle Sammlung von Geschichten und Anekdoten, die sich um die Bewohner der fiktiven Stadt Schilda, den sogenannten „Schildbürgern“, drehen. Erich Kästner, ein deutscher Autor, der vor allem für seine Kinderbücher wie „Emil und die Detektive“ und „Das fliegende Klassenzimmer“ bekannt ist, hat zwar eine moderne Interpretation dieser Geschichten verfasst, jedoch hat er die ursprünglichen Schildbürger-Geschichten nicht selbst erfunden.

Die Schildbürger-Geschichten entstanden im 16. Jahrhundert in Deutschland und basieren auf älteren, volkstümlichen Erzählungen. Die Bewohner von Schilda wurden oft als naiv, töricht und ungeschickt dargestellt, was zu humorvollen Situationen führt. Ziel dieser Geschichten war es, die Leser zum Lachen zu bringen und gleichzeitig menschliche Dummheit und Unvernunft auf satirische Weise zu kritisieren. In Kästners Version der Schildbürger-Geschichten finden sich einige seiner eigenen Gedanken und sozialkritische Ansichten wieder, die dem ursprünglichen Material eine modernere Note verleihen. Dabei verwendet Kästner seinen typischen Humor und seinen scharfsinnigen Blick auf die Gesellschaft, um die Absurditäten der menschlichen Natur zu verdeutlichen.

Ein bekanntes Beispiel aus den Schildbürger-Geschichten ist die Erzählung, in der die Bewohner von Schilda versuchen, das Sonnenlicht in Säcken in ihr neues Rathaus zu transportieren, weil sie vergessen haben, Fenster einzubauen. Solche Geschichten unterstreichen die Naivität und Einfältigkeit der Schildbürger und sind gleichzeitig amüsant und lehrreich. Insgesamt dienten die Schildbürger-Geschichten als humorvolle Reflexion menschlicher Schwächen und Fehler. Erich Kästners moderne Interpretation greift diese Elemente auf und bereichert sie mit seinem eigenen Stil und seinen sozialkritischen Kommentaren.

Interpretationen zum Märchen „Die Schildbürger“

Obwohl „Die Schildbürger“ von Erich Kästner auf den alten, volkstümlichen Geschichten über die fiktiven Bewohner der Stadt Schilda basiert, bietet Kästners Version einige interessante Interpretationsmöglichkeiten. Hier sind einige Aspekte, die in Kästners Version der Schildbürger-Geschichten hervorstechen:

Satire und Sozialkritik: Kästner nutzt den humorvollen Kontext der Schildbürger-Geschichten, um soziale und politische Missstände anzuprangern. Die Geschichten parodieren menschliche Schwächen, Unvernunft und Dummheit, und zeigen auf, wie sie in einer Gemeinschaft zu absurden Situationen führen können. Die Schildbürger-Geschichten können als eine Art Spiegel der Gesellschaft gesehen werden, der die Schwächen und Absurditäten des menschlichen Verhaltens offenlegt.

Menschliche Dummheit und Naivität: Die Bewohner von Schilda werden in den Geschichten als naiv und töricht dargestellt. Ihre Unfähigkeit, logisch zu denken und Probleme angemessen zu lösen, führt oft zu humorvollen, aber auch nachdenklich stimmenden Situationen. Diese Charaktereigenschaften der Schildbürger zeigen, wie Menschen manchmal trotz bester Absichten ihre eigenen Probleme schaffen und sich selbst im Weg stehen.

Die Grenzen von Intelligenz: Ein interessanter Aspekt der Schildbürger-Geschichten ist die Tatsache, dass die Bewohner von Schilda ursprünglich als sehr klug galten, aber ihre Weisheit zu einer Last wurde. In einigen Versionen der Geschichten haben die Schildbürger sogar beschlossen, absichtlich dumm zu handeln, um weniger Verantwortung tragen zu müssen. Diese Idee zeigt auf, dass Intelligenz allein nicht ausreicht und dass Weisheit ohne praktische Anwendung wenig wert ist.

Bildung und Erziehung: Kästners Schildbürger-Geschichten können auch als Kommentar zur Bildung und Erziehung gesehen werden. Die humorvollen Geschichten zeigen, wie wichtig es ist, den Menschen praktisches Wissen und Fähigkeiten zu vermitteln, die ihnen helfen, in der realen Welt zurechtzukommen. Indem er die Schwächen der Schildbürger aufzeigt, betont Kästner die Notwendigkeit einer sinnvollen und ausgewogenen Bildung.

Insgesamt bieten „Die Schildbürger“ von Erich Kästner zahlreiche Interpretationsmöglichkeiten, die über die humorvollen Anekdoten hinausgehen und tiefere soziale und menschliche Fragestellungen ansprechen. Kästners Version der Geschichten nutzt seinen charakteristischen Humor und seinen scharfsinnigen Blick auf die Gesellschaft, um den Lesern die Absurditäten und Schwächen der menschlichen Natur vor Augen zu führen.

Adaptionen zum Märchen „Die Schildbürger“

„Die Schildbürger“ von Erich Kästner, eine humorvolle und satirische Sammlung von Geschichten, wurde in verschiedenen Medien adaptiert. Hier sind einige konkrete Beispiele für Adaptionen:

Theater und Kabarett: Die Schildbürger-Geschichten bieten sich hervorragend für humorvolle Theateraufführungen und Kabarettprogramme an. Es gibt mehrere Bühnenfassungen von „Die Schildbürger“, die in verschiedenen Theatern aufgeführt wurden. Ein Beispiel ist die Theateradaption „Die Schildbürger“ von Gerold Theobalt, die am Landestheater Altenburg in Thüringen uraufgeführt wurde.

Hörspiele und Hörbücher: „Die Schildbürger“ von Erich Kästner eignet sich auch gut als Hörspiel oder Hörbuch. Es gibt mehrere Hörspieladaptionen von Kästners Werk, einschließlich einer Produktion des Westdeutschen Rundfunks aus dem Jahr 1973, die von Kästner selbst gesprochen wird.

Film und Fernsehen: Obwohl es keine direkte Verfilmung von Kästners Version der Schildbürger-Geschichten gibt, wurden einige Episoden und Anekdoten aus dem Buch in Fernseh- und Filmproduktionen aufgegriffen. Zum Beispiel gibt es einen animierten Kurzfilm von Michael Sieber aus dem Jahr 2006 mit dem Titel „Das Rathaus von Schilda“, der die berühmte Episode zeigt, in der die Schildbürger versuchen, das Sonnenlicht in Säcken in ihr Rathaus zu transportieren.

Kinder- und Jugendbücher: Da „Die Schildbürger“ von Erich Kästner humorvoll und leicht verständlich ist, wurden diese Geschichten in verschiedenen Kinder- und Jugendbuchausgaben veröffentlicht und von bekannten Künstlern wie Walter Trier oder Horst Lemke illustriert.

Unterrichtsmaterialien: Aufgrund ihrer humorvollen und lehrreichen Natur sind die Schildbürger-Geschichten in Schulbüchern und Lehrmaterialien zu finden, um Schülern Aspekte der deutschen Literatur, Sprache und Kultur näherzubringen.

Die Schildbürger-Geschichten sind ein zeitloser Bestandteil der deutschen Literatur, der in vielfältiger Weise adaptiert wurde. Ihre humorvollen und sozialkritischen Elemente eignen sich für verschiedene Formate und erlauben es ihnen, auch heute noch ein breites Publikum zu unterhalten und zum Nachdenken anzuregen.

Zusammenfassung der Handlung

„Die Schildbürger“ von Erich Kästner ist keine einzelne zusammenhängende Handlung, sondern eine Sammlung von humorvollen Geschichten und Anekdoten, die sich um die fiktiven Bewohner der Stadt Schilda drehen. Die Schildbürger sind als naiv, töricht und ungeschickt bekannt, was in den verschiedenen Geschichten zu komischen und oft satirischen Situationen führt. Einige der bekanntesten Episoden aus „Die Schildbürger“ sind:

Das Rathaus ohne Fenster: Die Schildbürger bauen ein neues Rathaus, vergessen dabei aber, Fenster einzuplanen. Um das Innere des Gebäudes zu erhellen, versuchen sie, das Sonnenlicht in Säcken einzufangen und ins Rathaus zu tragen.

Der dicke Fisch: Die Schildbürger wollen einen besonders dicken Fisch braten, finden aber keinen passenden Topf. Sie beschließen, den Fisch direkt über dem Feuer zu braten. Dabei brennt das Haus nieder.

Die Erziehung des Bürgermeisters: Der Bürgermeister von Schilda ist nicht besonders klug. Die Schildbürger beschließen, ihn besser zu erziehen, indem sie ihn kopfüber in ein Fass stecken, um das Wissen hineinfließen zu lassen. Der Bürgermeister bleibt daraufhin im Fass stecken.

Das eingefrorene Lachen: In einem strengen Winter friert das Lachen der Schildbürger ein, und sie können erst wieder lachen, wenn der Frühling einkehrt und das Lachen auftaut.

Das verlorene Ungeheuer: Die Schildbürger erschaffen ein Ungeheuer, um ihre Stadt vor Feinden zu schützen. Das Ungeheuer entkommt jedoch und kehrt nie mehr zurück.

Die Geschichten von Erich Kästner über die Schildbürger sind humorvoll und lehrreich, indem sie menschliche Schwächen, Unvernunft und Dummheit auf satirische Weise kritisieren. Kästners Version der Schildbürger-Geschichten greift Elemente der ursprünglichen Erzählungen aus dem 16. Jahrhundert auf und verbindet sie mit seinem eigenen Stil und seinen sozialkritischen Ansichten.

Historische Einordnung

Die „Schildbürger“, berühmt durch ihre humorvollen und oft aberwitzigen Streiche, sind eine zentrale Figur in der deutschen Schwankliteratur. Ihre Geschichten, die bis heute in der deutschsprachigen Kultur lebendig sind, wurden erstmals im sogenannten „Lalebuch“ von 1597 zusammengefasst, einem der bekanntesten deutschen Schwankbücher neben Till Eulenspiegel.

Das Lalebuch, das in vollständiger Form den Titel „Das Lalen-Buch. Wunderseltzame, Abentheurliche, unerhörte, und bißher unbeschriebene Geschichten und Thaten der Lalen zu Lalenburg“ trägt, erschien in Straßburg und wurde 1598 in einer zweiten Auflage als „Die Schiltbürger“ veröffentlicht. Die Autorschaft des Buches ist umstritten, wobei Friedrich von Schönberg als möglicher Verfasser diskutiert wird. Das Lalebuch stellt keine Übersetzung dar, sondern basiert auf damals populären Schwänken und Erzählungen, die kunstvoll zu einem Ganzen verbunden wurden.

Das Werk handelt von der fiktiven Stadt Laleburg im Kaiserreich Utopia. Der Name „Lale“ leitet sich vom griechischen λαλέω (laléō) ab, was sowohl „plaudern“ als auch „verkündigen“ und „lehren“ bedeutet. Die Einwohner von Laleburg entwickeln sich im Laufe der Erzählung von weisen Beratern zu närrischen Bauern. Am Ende des Lalebuchs finden sich die „Newe Zeitungen auß der ganzen Welt“, eine Sammlung von Lügengeschichten, die jedoch in späteren Editionen des Lalebuchs oft fehlen. Das Lalebuch nimmt Bezug auf verschiedene zeitgenössische Schwankautoren und Werke, distanziert sich aber in der Vorrede von diesen.

Die Geschichten im Lalebuch sowie in späteren Werken wie dem Schildbürgerbuch und dem Grillenvertreiber unterscheiden sich hauptsächlich durch die Anpassung der Namen der Protagonisten und ihres Wohnortes sowie der Vorgeschichte. Mehrere Orte in Deutschland und anderen Ländern beanspruchen, die Vorlage für die Berichte von Schilda gewesen zu sein, darunter Schilda in Brandenburg, Schildau in Sachsen und Mährisch Schildberg in Mähren. Die Erzählungen rund um die Schildbürger drehen sich um ihre absichtliche Verwandlung von Klugheit in Narrheit, um der Entvölkerung ihres Ortes entgegenzuwirken. Zu den bekanntesten Schildbürgerstreichen gehören unter anderem der Bau eines fensterlosen Rathauses, das vergebliche Bemühen, Licht einzufangen, das Säen von Salz, der Empfang des Kaisers mit Steckenpferden, das Versenken einer Glocke im See und der Versuch, Wissen mittels eines Nürnberger Trichters zu erlangen.

Neben den Haupterzählungen finden sich auch lokale Sagen wie die Teterower Hechtsage und der Beckumer Rathausbrunnen sowie Bezüge zu Faschingsbräuchen. Die Schildbürgergeschichten haben Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch gefunden, wo der Begriff „Schildbürgerstreich“ für aberwitzige und irreführende Handlungen verwendet wird. In der wissenschaftlichen Literatur finden sich auch humorvolle Bezüge zu den Schildbürgern, wie zum Beispiel in der „Encyclopedia of the Medieval Chronicle“, die das Lalebuch als historischen Bericht darstellt.


Informationen für wissenschaftliche Analysen

Kennzahl
Wert
Lesbarkeitsindex nach Amstad76.9
Lesbarkeitsindex nach Björnsson33.5
Flesch-Reading-Ease Index62.5
Flesch–Kincaid Grade-Level7.3
Gunning Fog Index7.3
Coleman–Liau Index12
SMOG Index10
Automated Readability Index8
Zeichen-Anzahl42.240
Anzahl der Buchstaben33.743
Anzahl der Sätze602
Wortanzahl6.663
Durchschnittliche Wörter pro Satz11,07
Wörter mit mehr als 6 Buchstaben1496
Prozentualer Anteil von langen Wörtern22.5%
Silben gesamt10.486
Durchschnittliche Silben pro Wort1,57
Wörter mit drei Silben833
Prozentualer Anteil von Wörtern mit drei Silben12.5%
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