Vorlesezeit für Kinder: 9 min
»Am Meeresgestade war eine Schar Wölfe, darunter war einer besonders blutdürstig, der wollte zu einer Zeit sich einen besondern Ruhm unter seinen Gesellen erwerben und ging in ein Gebirge, wo viele und mancherlei Tiere sich aufhielten, da zu jagen. Aber dieses Gebirge war umfriedet, und die Tiere waren da sicher vor anderen Tieren und wohnten in Eintracht beieinander; darunter war auch eine Schar Maushunde oder Katzen, die hatten einen König. Nun war der Wolf mit List durch das Gehege gekommen, verbarg sich und fing sich jeden Tag eine Katze und fraß sie. Das war den Katzen sehr leid und sie sammelten sich zur Beratung unter ihrem König, und da waren in sonderheit drei weise, einsichtsvolle Kater, die berief der König in seinen Rat und fragte den ersten um sein Votum gegen den schädlichen Wolf Der erste Kater sprach: ›Ich weiß keinen Rat gegen dieses große Ungeheuer, als uns in Gottes Gnade zu befehlen, denn wie möchten wir dem Wolf Widerstand tun?‹ Der König fragte den zweiten Kater, und dieser sprach: ›Ich rate, dass wir gemeinschaftlich diesen Ort verlassen und uns eine andere ruhigere Stätte suchen, da wir hier in großer Trübsal, Leibes- und Lebensgefahr verweilen müssen.‹ Der dritte Kater aber sprach auf des Königs Befragung: ›Mein Rat ist, hierzubleiben und des Wolfs halber nicht auszuwandern. Auch wüsste ich einen Rat, ihn zu überwinden.‹
›Sage ihn‹, gebot der König, und der Kater sprach weiter: ›Wir müssen acht darauf haben, wenn der Wolf sich neuer Beute bemächtigt hat und wohin er sie trägt und verzehrt, dann musst du, o König, ich und unsere Stärksten ihm nahen, als wollten wir das essen, was er übrig lässt, so wird er sich für ganz sicher halten und von uns sich nichts befürchten. Dann will ich auf ihn springen und ihm die Augen auskratzen, und dann müssen alle anderen über ihn herfallen, so dass er sich unserer nicht mehr erwehren kann, und es darf uns dabei nicht irren, dass einer oder der andere von uns das Leben einbüßt oder Wunden davonträgt; denn wir erlösen dadurch uns und unsere Kinder von dem Feind, und ein Weiser scheidet nicht feig und furchtsam von seinem Vatererbe; nein, er verteidigt es mit Leibes- und Lebensgefahr.‹ Diesen Rat hieß der König gut. Darauf geschah es, dass der Wolf einen guten Fang getan hatte, den er auf einen Felsen schleppte, und da führten die Katzen ihre Tat aus, die der tapfere weise Kater angeraten; und der Wolf musste schämlich unter ihren Krallen und zahllosen Bissen sein Leben enden.«
»Dieses Beispiel«, fuhr Vogel Holgott fort, »sage ich dir, liebes Weib, damit du begreifst, dass treue Freundschaft hilfreich ist, und darum nehme ich gern Vogel Mosam zu meinem Freund und Gefährten mit.« Als dieses das Weibchen hörte, jubilierte sie innerlich, dass ihr Anschlag so unverdächtig und nach ihres Herzens Wunsch ausging. Und da erhoben sich die drei Vögel nach jener lustigen Stätte; heßen im alten Nest die indes ausgebrüteten jungen zurück, bauten dort Nester und wohnten dort friedsam und freundlich bei reichlicher Nahrung eine Zeit miteinander. Und Vogel Holgott, der alt und schwach wurde, und sein Weib hatten den Vogel Mosam viel lieber in ihren Herzen, als er sie, wie sich gleich zeigen wird.
Es kam eine dürre heiße Zeit, dass alles verdorrte, und der See austrocknete, und die Fische starben; da sprach Vogel Mosam zu sich selbst: »Es ist ein schönes Ding um treue Kameradschaft, und es ist löblich, wenn Freunde zusammenhalten. Aber ein jeder ist doch sich selbst der Nächste. Wer sich selbst nichts nütze ist, wie soll der andern nützlich sein? Wer künftigen Schaden nicht voraussieht und ihn meidet, der wird ihm nicht entgehen, wenn er da ist. Nun sehe ich voraus, wie mir die Gesellschaft dieser Vögel Schaden und Abbruch tun wird, da von Tag zu Tag die Nahrung sich mindert; und zuletzt werden sie mich verjagen. Mir aber gefällt es hier wohl, und ich könnte auch allein, ohne jener Gesellschaft hier wohnen; da wäre es wohl gut, wenn ich ihnen zuvorkäme, und mich ihrer entledigte, und zwar zuerst des Mannes, denn das Weib vertraut mir ganz, die zwinge ich dann ungleich leichter. Sie kann sogar den Mann töten helfen.«
Mit solchen argen und schändlichen Gedanken flog Vogel Mosam zu dem Weibchen und nahte ihr ganz traurig und niedergeschlagen. Die fragte ihn: »Warum sehe ich dich so traurig, mein Freund?« und er antwortete: »Ich trauere über die schwere Zeit und sehe schreckvoll daherschreiten des Hungers Gespenst. Und zumeist deinetwegen trauert mein Herz. Eines nur wüsst ich, das dir frommte, wenn mein Rat nicht unweise dir dünkt.«
»Welcher ist das?« fragte das Weibchen, und Mosam sprach: »Bande der Freundschaft sind mehr wert als Bande der Blutsverwandtschaft, denn dies ist oft schädlicher als Gift. Ein Sprichwort sagt: Wer eines Bruders mangelt, der hat einen Feind weniger, und wer keine Verwandten hat, der hat keine Neider. Ich will dir etwas ansinnen, das dir nützlich sein wird, liebe Freundin, obschon es dir hart ankommen wird, es zu vollbringen, und du wirst es mir als ein Unrecht auslegen, dass ich es dir offenbare, wenn auch es in meinen Augen geringfügig erscheint.« Da sprach das Weibchen: »Deine Rede erschreckt mich, ich kann mir nicht denken, was du meinst, und glaube nicht, dass du mir Übels raten wirst. Doch wäre mir ein leichtes, den Tod zu erleiden um deinetwillen; darum so sprich! Denn wer nicht sein Leben einsetzt für einen treuen Freund, der ist sehr töricht, denn ein Freund ist immer nützlicher wie ein Bruder oder wie Kinder.« jetzt sprach Mosam mit Arglist: »Mein Rat ist, dass du suchtest, deines alten schwachen Mannes los und ledig zu werden, für den du so mühevoll sorgen musst; da wird dir Glück und Heil zureifen, und mir mit dir! Und frage nicht nach der Ursache dieses Rates, bis du ihn vollzogen hast, denn hätte ich nicht guten Grund dazu, so glaube mir, würde ich dir solches nicht anraten. Ich schaffe dir schon einen bessern und jüngern Mann, der dich immer lieben und beschützen wird. Und tust du nicht nach meinem Rat, so wird es dir gehen wie jener Maus, die auch guten Rat verachtete.«
Da fragte das Vogelweib: »Wie war das mit jener Maus?« und Mosam erzählte:….

Hintergründe
Interpretationen
Analyse
Die Geschichte, die du ansprichst, stammt aus Ludwig Bechsteins Sammlung von Märchen und Fabeln. In „Von dem Wolf und den Maushunden“ wird eine Fabel erzählt, die sich um Themen wie Freundschaft, List und Verrat dreht. Es ist eine klassische Fabel, die Tiere als Protagonisten benutzt, um menschliche Eigenschaften und gesellschaftliche Situationen zu erläutern.
In der Handlung wird beschrieben, wie ein besonders blutdürstiger Wolf in ein geographisch geschütztes Gebiet eindringt, in dem verschiedene Tiere friedlich zusammenleben. Dort jagt er die sogenannten Maushunde oder Katzen, was diese sehr bedrückt. Die Katzen, unter der Führung ihres Königs, beraten sich und erhalten Vorschläge zur Lösung des Problems von drei weisen Katern. Nach einiger Diskussion entscheiden sie sich, einem stärkeren Plan des dritten Katers zu folgen, um den Wolf zu überwältigen. Die Intrige erläutert die Wichtigkeit von Mut und Opferbereitschaft, um eine Bedrohung abzuwenden.
Parallel dazu wird eine andere Geschichte innerhalb dieser Fabel eingeführt, in der Tiere (Vögel) auch mit Verrat und treuen Freundschaften konfrontiert sind. Vogel Mosam, ein unaufrichtiger Charakter, versucht die bestehende Freundschaft zwischen zwei anderen Vögeln auszunutzen, um eigene Vorteile zu erlangen. Diese Intrige soll letztendlich zeigen, wie Selbstsucht und Betrug zu Konflikt und Schaden führen können.
Bechsteins Fabeln sind bekannt dafür, moralische Lehren zu illustrieren, oft in einem didaktischen Ton, der den Leser dazu anregen soll, über Werte wie Loyalität, Opferbereitschaft und die Konsequenzen von Verrat nachzudenken. Die Geschichten bieten nicht nur Unterhaltung, sondern auch Anlässe zur Selbstreflexion.
Das Märchen „Von dem Wolf und den Maushunden“ von Ludwig Bechstein bietet eine interessante Erzählung über List, Freundschaft und Verrat, die auf verschiedene Arten interpretiert werden kann. Die Geschichte ist in Schichten von Moral und sozialen Lehren verpackt, die sowohl für Kinder als auch für Erwachsene von Bedeutung sein können.
Kollektiver Mut und Zusammenarbeit: Die Geschichte von den Maushunden, die den blutrünstigen Wolf besiegen, betont die Macht der Gemeinschaft. Obwohl die Maushunde jedem individuell weit unterlegen sind, können sie durch Zusammenarbeit eine Bedrohung überwinden, die sonst unüberwindbar wäre. Dies kann als Lehrstück für die Kraft kollektiven Handelns gegen Ungerechtigkeit und Bedrohung interpretiert werden.
Schlauheit vs. Stärke: Ein weiterer wichtiger Aspekt der Geschichte ist die Betonung auf Intelligenz und Täuschung als Mittel zum Überleben. Der dritte Kater, der einen Plan entwickelt, um den Wolf zu besiegen, zeigt, dass List und kluge Planung genauso wichtig sind wie physische Stärke. Dies erinnert an das klassische Motiv in Märchen, dass Intelligenz oft die rohe Gewalt übertrumpft.
Verrat und Selbstsucht: Die parallel erzählte Geschichte um Vogel Holgott und Vogel Mosam analysiert den Verrat und die Selbstsucht. Während die Vögel anfangs in Freundschaft zusammenleben, zeigt Vogel Mosam letztendlich, dass er bereit ist, seine Freunde aus Eigeninteresse zu hintergehen. Diese Handlung stellt die Frage nach der wahren Natur von Freundschaft und Loyalität und warnt vor falschen Freunden, die sich nur solange loyal zeigen, wie es ihnen nützt.
Ethik der Selbstopferung: Ein Thema, das sowohl im Kampf der Maushunde als auch in der Handlung von Vogel Holgott und seinem Weibchen auftaucht, ist die Bereitschaft, sich für ein größeres Wohl zu opfern. Die Erzählungen erörtern die ethischen Implikationen der Selbstaufopferung für die Gemeinschaft oder einen Freund, was als Aufruf zur moralischen Verantwortung und Solidarität verstanden werden kann.
Die Rolle der Überlieferung und Geschichtenerzählen: In Bechsteins Märchen spielt das erzählende Element – das Weitergeben von Wissen und Moral durch Geschichten – eine zentrale Rolle. Es illustriert, wie Geschichten genutzt werden, um Werte und Lektionen zu vermitteln, die von Generation zu Generation weitergegeben werden.
Dieses Märchen kann also vielseitig interpretiert und auf verschiedene gesellschaftliche und ethische Kontexte angewendet werden, indem es universelle Themen anspricht, die auch heute noch relevant sind.
Diese Erzählung von Ludwig Bechstein stammt aus einer Sammlung von Märchen und Fabeln. Sie zieht Parallelen zwischen der Tierwelt und menschlichen Verhaltensweisen, um moralische Lektionen zu vermitteln. In der Geschichte von „Von dem Wolf und den Maushunden“ sind mehrere thematische Elemente und sprachliche Merkmale, die eine linguistische Analyse verdienen, vorhanden.
Themen und Moral
Gemeinschaft und Zusammenarbeit: Die Katzen (als Maushunde bezeichnet) stehen vor einer Bedrohung durch den Wolf. Die Geschichte lehrt, dass gemeinschaftliches Handeln und Zusammenarbeit zur Besiegung eines stärkeren Feindes führen können. Dies illustriert, wie wichtig kollektives Denken und Solidarität für das Überleben einer Gemeinschaft sind.
Kluge Beratung und Strategie: Der dritte Kater bietet einen klugen und strategischen Plan an, um den Wolf zu überwinden. Diese Darstellung lobt kluge Überlegungen und strategische Planung als entscheidende Werkzeuge in schwierigen Situationen.
Verrat und Eigennutz: Der Vogel Mosam repräsentiert Verrat und Eigennutz, da er plant, sich des alten Vogels zu entledigen, um seine eigene Situation zu verbessern. Dies zeigt, dass falsche Freunde oft egoistische Absichten haben können und nicht immer im besten Interesse der Gemeinschaft handeln.
Erzählstruktur: Die Geschichte ist eine klassische Fabelstruktur, die mit einem Problem beginnt (der Wolf, der die gemauerte Sicherheit der Tiere durchbricht), gefolgt von Beratungen, einem Plan und der Durchführung dieses Plans. Die Erzählung endet mit einer Moral oder Lektion.
Sprache und Stil: Bechstein verwendet eine antiquierte und märchenhafte Sprache, die typische Merkmale des 19. Jahrhunderts aufweist, wie komplexe Satzstrukturen und eine gehobene, formelle Diktion.
Rhetorische Mittel: Der Text nutzt Dialoge und direkte Rede, um die Charaktere aus der Tierwelt zum Leben zu erwecken und ihre unterschiedlichen Perspektiven widerzuspiegeln. Der Einsatz von Metaphern und Sprichwörtern verstärkt die moralische Botschaft und verleiht der Erzählung Tiefe.
Diese Elemente fügen sich zusammen, um eine Erzählung zu schaffen, die sowohl lehrreich als auch unterhaltend ist, und die Leser dazu anregt, über Konzepte wie Gemeinschaft, Strategie und Verrat nachzudenken.
Informationen für wissenschaftliche Analysen
Kennzahl | Wert |
---|---|
Lesbarkeitsindex nach Amstad | 69.2 |
Lesbarkeitsindex nach Björnsson | 41.6 |
Flesch-Reading-Ease Index | 56.9 |
Flesch–Kincaid Grade-Level | 11.3 |
Gunning Fog Index | 12.5 |
Coleman–Liau Index | 12 |
SMOG Index | 11.9 |
Automated Readability Index | 12 |
Zeichen-Anzahl | 5.097 |
Anzahl der Buchstaben | 4.091 |
Anzahl der Sätze | 36 |
Wortanzahl | 864 |
Durchschnittliche Wörter pro Satz | 24,00 |
Wörter mit mehr als 6 Buchstaben | 152 |
Prozentualer Anteil von langen Wörtern | 17.6% |
Silben gesamt | 1.282 |
Durchschnittliche Silben pro Wort | 1,48 |
Wörter mit drei Silben | 82 |
Prozentualer Anteil von Wörtern mit drei Silben | 9.5% |