Vorlesezeit für Kinder: 12 min
An Bord des Dampfschiffes befand sich ein ältlicher Mann mit einem so vergnügten Gesicht, dass, wenn es ihn nicht Lügen strafte, er der glücklichste Mensch von der Welt sein musste. Das sei er auch, sagte er, und ich selber hörte es aus seinem eigenen Munde. Er war ein Däne, ein reisender Theaterdirektor. Er hatte das ganze Personal mit, es lag in einem großen Kasten. Er war Marionettenspieler. Sein angeborener guter Humor, sagte er, sei von einem polytechnischen Kandidaten geläutert, und bei diesem Experimente sei er vollständig glücklich geworden. Ich begriff dies alles nicht sogleich, aber dann setzt er mir die ganze Geschichte klar auseinander, und hier ist sie:
„Es war im Städtchen Slagelse“, sagte er; „ich gab eine Vorstellung im Saale der Posthalterei, hatte brillantes Publikum, ganz und gar unkonfirmiertes, mit Ausnahme von einem Paare alter Matronen. Auf einmal kommt so eine schwarz gekleidete Person vom Studentenschlage in den Saal, setzt sich, lacht laut an den passendsten Stellen, klatscht ganz und gar richtig: das war ein ungewöhnlicher Zuschauer! Ich musste wissen, wer der sei, und ich erfuhr dann, es sei ein Kandidat des polytechnischen Institutes zu Kopenhagen, der ausgesandt sei, um die Leute in den Provinzen zu belehren. Punkt acht Uhr war meine Vorstellung aus, Kinder müssen ja früh zu Bette, und man muss an die Bequemlichkeit des Publikums denken. Um neun Uhr begann der Kandidat seine Vorlesungen und Experimente, und nun war ich sein Zuhörer. Das war merkwürdig zu hören und zu sehen.
Das meiste ging mir über meinen Horizont, aber so viel dachte ich mir doch dabei, können wir Menschen so was ausfindig machen, so müssen wir auch länger aushalten können, als bis man uns in die Erde verscharrt. Es waren lauter kleine Mirakel, die er machte, und doch alles wie Wasser, ganz natürlich! Um die Zeit Moses und der Propheten wäre ein solcher polytechnischer Kandidat einer der Weisen des Landes geworden; im Mittelalter hätte man ihn auf den Scheiterhaufen gebracht. Ich schlief die ganze Nacht nicht. Und als ich am anderen Abend Vorstellung gab und der Kandidat sich wiederum einfand, sprudelte mein Humor. Ich habe von einem Schauspieler gehört, dass er in Liebhaberrollen immer nur an eine einzige der Zusehauerinnen dachte; für sie spielte er und vergaß das ganze übrige Haus.
Der polytechnische Kandidat war meine -„sie“, mein einziger Zuschauer, für den ich allein spielte. Als die Vorstellung zu Ende war, wurden sämtliche Marionetten hervorgerufen und ich von dem polytechnischen Kandidaten auf sein Zimmer auf ein Glas Wein eingeladen. Er sprach von meinen Komödien und ich von seiner Wissenschaft, und ich glaube, wir fanden gleich große Freude daran. Aber ich bereue das Wort, denn in seinem Kram war nun einmal vieles, worüber er nicht allemal Wort und Rede stehen konnte: z.B., das Ding, dass ein Stück Eisen, das durch eine Spirale fällt, magnetisch wird, ja! was ist das?! – Der Geist kommt über dasselbe, aber woher kommt er. Es ist damit wie mit den Menschen dieser Welt, denke ich: Unser lieber Herrgott lässt sich durch die Spirale der Zeit purzeln, und der Geist kommt über sie, und so steht da ein Napoleon, ein Luther oder irgendeine ähnliche Person“
„Die ganze Welt ist eine Reihe von Wunderwerken“, sagte der Kandidat, „aber wir sind so an dieselben gewöhnt, dass wir sie Alltagsgeschichten nennen“ – Er sprach und erklärte: es war mir zuletzt, als hebe man mir den Hirnschädel in die Höhe, und ich gestand ehrlich, dass wenn ich nicht schon so ein alter Knabe wäre, so würde ich sofort die polytechnische Anstalt beziehen und lernen, die Welt so recht in den Nähten nachzusehen – ungeachtet ich einer der glücklichsten Menschen bin! „Einer der glücklichsten“ – sagte er, und es war mir, als kostete er davon. „Sind Sie glücklich?“
„Ja!“ sagte ich, „glücklich bin ich, und willkommen heißt man mich in allen Städten, wo ich mit meiner Gesellschaft eintreffe! Zwar – ich habe allerdings einen Wunsch, derselbe liegt nicht selten wie Blei, wie ein Alb, auf meinem guten Humor: ich möchte Theaterdirektor einer lebendigen Truppe, einer richtigen Menschengesellschaft sein.“ „Sie wünschen ihren Marionetten Leben eingehaucht, dass sie wirkliche Schauspieler – und Sie selber Direktor würden!“ sagte er. „Dann würden Sie vollkommen glücklich sein? Glauben ?“ – Er glaubte es nicht, und wir sprachen hin und her, in die Kreuz und Quer und blieben doch gleich weit auseinander.
Doch mit den Gläsern stießen wir an, und der Wein war exzellent, aber Zauberei war dabei, sonst würde ich bestimmt einen Rausch bekommen haben. Aber das war nicht der Fall, ich blieb klarsehend, in der Stube war Sonnenschein, und Sonnenschein strahlte aus den Augen des polytechnischen Kandidaten. Ich musste an die alten Götter in ihrer ewigen Jugend denken, als sie noch auf der Erde umherspazierten und uns Menschen Besuche machten. Und das sagte ich ihm auch, dann lächelte er, und ich hätte darauf schwören dürfen, er sei ein verkappter Gott, oder doch wenigsten aus der Familie!
Das war er auch: mein höchster Wunsch sollte in Erfüllung gehen, die Marionetten lebendig und ich Direktor einer Menschentruppe werden. Wir stießen darauf an und leerten die Gläser! Er packte alle meine Puppen in den Kasten, band sie auf meinen Rücken, und dann ließ er mich durch eine Spirale fallen: – ich höre noch, wie ich purzelte, ich lag auf dem Fußboden, das weiß ich gewiss, und die ganze Gesellschaft sprang aus dem Kasten heraus – der Geist war über uns alle insgesamt gekommen, alle Marionetten waren ausgezeichnete Künstler geworden, das sagten sie selber, und ich war Direktor! Alles war zur ersten Vorstellung bereit, die ganze Gesellschaft wollte mit mir reden, und das Publikum auch; die Tänzerin sagte, das Haus müsse fallen, wenn ich nicht auf einem Beine stände, sie sei die Meisterin des Ganzen und bäte sich aus, danach behandelt zu werden. Diejenige, welche die Königin spielte, wollte auch außerhalb der Szene als Königin behandelt sein – sie käme sonst aus der Übung.
Der, welcher nur dazu gebraucht wurde, einen Brief abzugeben, machte sich ebenso wichtig wie der erste Liebhaber, denn die Kleinen seien wie die Großen, sie seien von gleicher Wichtigkeit in einem künstlerischen Ganzen, sagte er. Der Held wollte nur Rollen aus lauter Abgangs-Repliken bestehend, denn dabei werde geklatscht: Die Primadonna wollte nur in rotem Lichte spielen, denn das stünde ihr, blaues leide sie nicht: es war wie Fliegen in einer Flasche, und ich war mitten in der Flasche, ich war Direktor! Der Atem verließ mich, der Kopf verließ mich: Ich war so elend, wie ein Mensch es werden kann.
Es war ein neues Menschengeschlecht, unter welches ich geraten, ich wünschte nur, ich hätte sie alle wieder in dem Kasten, dass ich niemals Direktor geworden. Ich sagte ihnen rund heraus, sie seien doch im Grunde Marionetten; dann schlugen sie mich tot. Ich lag auf dem Bette in meinem Zimmer, wie ich dorthin und überhaupt vom polytechnischen Kandidaten weggekommen bin, das muss er wissen, ich weiß es nicht. Der Mond schien auf den Fußboden herein, wo der Puppenkasten umgeworfen und alle Puppen bunt durcheinander lagen groß und klein, die ganze Geschichte; aber ich war nicht faul: aus dem Bette fuhr ich heraus, in den Kasten kamen sie alle insgesamt, einige auf den Kopf, andere auf die Beine, ich warf den Deckel zu und setzte mich selber oben auf den Kasten. “
Jetzt werdet ihr schon drinnen bleiben!“ sagte ich, „und ich werde mich hüten, euch wieder Blut und Fleisch zu wünschen.“ Mir war ganz leicht geworden, meinen Humor hatte ich wieder, ich war der glücklichste Mensch , der polytechnische Kandidat hatte mich förmlich geläutert. Ich saß in lauter Glückseligkeit und schlief auf dem Kasten ein. Am nächsten Morgen – eigentlich war es Mittag, aber ich schlief diesen Morgen wunderbar lange – saß ich noch immer da, glücklich und belehrt, dass mein früherer einziger Wunsch´dumm gewesen.
Ich fragte nach dem polytechnischen Kandidaten, aber er war fort, wie die griechischen und römischen Götter. Von der Zeit an bin ich der glücklichste Mensch gewesen. Ich bin ein glücklicher Direktor, mein Personal räsoniert nicht, mein Publikum auch nicht, es ist herzensvergnügt. Meine Stücke kann ich zusammenflicken, wie ich will. Ich nehme aus allen Komödien das Beste heraus, das mir ansteht, und niemand ärgert sich darüber. Stücke, die jetzt bei den großen Bühnen verachtet sind, nach welchen aber das Publikum vor dreißig Jahren wie besessen lief, und wobei es heulte, dass ihm die Tränen übers Gesicht rollten, deren nehme ich mich jetzt an. Jetzt setze ich sie den Kleinen vor, und die Kleinen, die weinen wie Papa und Mama geweint haben. Ich verkürze sie aber, denn die Kleinen lieben das lange Liebesgeschwätz nicht, sie wollen: „Unglücklich, aber rasch“.
Hintergründe zum Märchen „Der Marionettenspieler“
„Der Marionettenspieler“ wurde von Hans Christian Andersen geschrieben, einem dänischen Schriftsteller, der vor allem für seine Märchen und Geschichten bekannt ist. Andersen wurde 1805 in Odense, Dänemark, geboren und begann seine Karriere als Schauspieler und Sänger, bevor er sich dem Schreiben widmete. Seine Märchen sind weltweit berühmt und wurden in viele Sprachen übersetzt. Einige seiner bekanntesten Werke sind „Die kleine Meerjungfrau“, „Das hässliche Entlein“ und „Die Schneekönigin“.
Der Hintergrund von „Der Marionettenspieler“ liegt in der Welt des Theaters und der Kunst. Andersen hatte selbst Erfahrung mit der Theaterwelt und verarbeitete diese Erfahrungen oft in seinen Geschichten. Das Stück spiegelt die Freuden und Schwierigkeiten wider, die im Umgang mit künstlerischen Persönlichkeiten und menschlichen Egos auftreten können.
Die Geschichte spielt in Dänemark, insbesondere in der Stadt Slagelse, und bezieht sich auf die damalige kulturelle Szene und das Interesse an Wissenschaft und Technologie. Der polytechnische Kandidat repräsentiert das Streben nach Wissen und Fortschritt, das zur Zeit Andersens im 19. Jahrhundert sehr verbreitet war. Die polytechnische Bildung, auf die Bezug genommen wird, ist eine Form der technischen und wissenschaftlichen Ausbildung, die heute noch in vielen Ländern, einschließlich Dänemark, angeboten wird.
Insgesamt ist „Der Marionettenspieler“ eine Geschichte, die die Suche nach Glück, die Schönheit der Kunst und die Faszination für Wissenschaft und Technologie in der damaligen Zeit widerspiegelt. Die Erzählung zeigt auch die meisterhafte Erzählkunst Andersens und seine Fähigkeit, sowohl Kinder als auch Erwachsene mit seinen Geschichten zu fesseln und zu unterhalten.
Interpretationen zum Märchen „Der Marionettenspieler“
„Der Marionettenspieler“ von Hans Christian Andersen kann auf verschiedene Weise interpretiert werden. Hier sind einige mögliche Interpretationen:
Die Suche nach Glück: Die Geschichte zeigt, dass die Suche nach Glück oft in der Unzufriedenheit mit dem gegenwärtigen Zustand liegt. Der Theaterdirektor glaubt, er wäre glücklicher, wenn er eine echte Schauspieltruppe hätte. Doch als sein Wunsch in Erfüllung geht, erkennt er, dass er vorher glücklicher war. Die Geschichte lehrt uns, dass Glück oft in der Akzeptanz der eigenen Umstände und im Genießen der einfachen Dinge des Lebens liegt.
Bedeutung von Wissenschaft und Wissen: Die Begegnung mit dem polytechnischen Kandidaten öffnet dem Theaterdirektor die Augen für die Wunder der Wissenschaft. Obwohl er nicht alles versteht, was der Kandidat ihm erklärt, erkennt er, dass die Welt voller Wunder ist und dass Wissenschaft und Wissen faszinierend sind. Die Geschichte betont die Bedeutung von Bildung und die Notwendigkeit, immer offen für neue Ideen und Erkenntnisse zu sein.
Umgang mit anderen Menschen: Die lebendig gewordenen Marionetten offenbaren die Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen, die Eitelkeit, Neid und Streit mit sich bringen können. Die Geschichte zeigt, dass es manchmal einfacher ist, mit Marionetten umzugehen, die keine eigenen Wünsche, Bedürfnisse und Egos haben. In diesem Sinne kann die Geschichte auch als Kritik an menschlichen Schwächen und Konflikten gelesen werden.
Die Kraft der Fantasie: Die Geschichte zeigt die Kraft der Fantasie und die Fähigkeit, Geschichten zu erzählen, die Menschen berühren und unterhalten können. Der Theaterdirektor ist erfolgreich, weil er in der Lage ist, das Beste aus verschiedenen Geschichten herauszunehmen und sie für sein junges Publikum attraktiv zu gestalten. Die Geschichte betont die Bedeutung der Kreativität und der Kunst, um Freude und Glück zu schaffen.
Vorsicht vor erfüllten Wünschen: „Der Marionettenspieler“ kann auch als Warnung vor erfüllten Wünschen verstanden werden. Manchmal sind die Dinge, die wir uns wünschen, nicht das, was wir wirklich brauchen oder was uns glücklich machen wird. In diesem Sinne lehrt die Geschichte, dass wir vorsichtig sein sollten, was wir uns wünschen, und uns auf das konzentrieren sollten, was wirklich wichtig ist.
Zusammenfassung der Handlung
In dem Märchen „Der Marionettenspieler“ von Hans Christian Andersen erzählt ein glücklicher Theaterdirektor von einer Begegnung mit einem polytechnischen Kandidaten, die sein Leben verändert hat. Der Direktor, der eine Marionettentruppe leitet, wünscht sich sehnlichst, eine Truppe aus lebenden Schauspielern zu führen. Bei einer Vorstellung trifft er auf den polytechnischen Kandidaten, der von seinen wissenschaftlichen Experimenten erzählt.
Die beiden Männer diskutieren über Glück und Wissenschaft, und der Kandidat stellt die Frage, ob der Direktor glücklicher wäre, wenn seine Marionetten lebendig wären. Sie stoßen darauf an, und auf wundersame Weise erfüllt sich der Wunsch des Direktors: Die Marionetten werden lebendig, und er wird Direktor einer echten Schauspieltruppe. Doch bald merkt er, dass diese neue Situation problematisch ist: Die Schauspieler sind eitel und streitsüchtig, und der Direktor ist unglücklich.
Am Ende wünscht er sich, dass seine Schauspieler wieder Marionetten werden, und seine Truppe kehrt in ihren ursprünglichen Zustand zurück. Der Theaterdirektor erkennt, dass sein früherer Wunsch dumm war, und er ist zufrieden und glücklich mit seinen Marionetten. Er lernt, dass man das Beste aus der Situation machen sollte und das Glück oft in den einfachen Dingen des Lebens liegt.
Informationen für wissenschaftliche Analysen
Kennzahl | Wert |
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Übersetzungen | DE, EN, DA, ES, FR, NL |
Lesbarkeitsindex nach Amstad | 64.7 |
Lesbarkeitsindex nach Björnsson | 42.2 |
Flesch-Reading-Ease Index | 49 |
Flesch–Kincaid Grade-Level | 11.6 |
Gunning Fog Index | 11.4 |
Coleman–Liau Index | 12 |
SMOG Index | 12 |
Automated Readability Index | 12 |
Zeichen-Anzahl | 8.852 |
Anzahl der Buchstaben | 7.099 |
Anzahl der Sätze | 68 |
Wortanzahl | 1.415 |
Durchschnittliche Wörter pro Satz | 20,81 |
Wörter mit mehr als 6 Buchstaben | 303 |
Prozentualer Anteil von langen Wörtern | 21.4% |
Silben gesamt | 2.286 |
Durchschnittliche Silben pro Wort | 1,62 |
Wörter mit drei Silben | 206 |
Prozentualer Anteil von Wörtern mit drei Silben | 14.6% |