Vorlesezeit für Kinder: 11 min
Es lebte einmal ein sehr armer Mann, hieß Klaus, dem hatte Gott eine Fülle Reichtum beschert, der ihm große Sorge machte, nämlich zwölf Kinder, und über ein Kleines so kam noch ein Kleines, das war das dreizehnte Kind. Da wusste der arme Mann seiner Sorge keinen Rat, wo er doch einen Paten hernehmen sollte, denn seine ganze Sipp- und Magdschaft hatte ihm schon Kinder aus der Taufe gehoben, und er durfte nicht hoffen, noch unter seinen Freunden eine mitleidige Seele zu finden, die ihm sein jüngstgebornes Kindlein hebe. Gedachte also an den ersten besten wildfremden Menschen sich zu wenden, zumal manche seiner Bekannten ihn in ähnlichen Fällen schon mit vieler Hartherzigkeit abschläglich beschieden hatten.
Der arme Kindesvater ging also auf die Landstraße hinaus, willens, dem ersten ihm Begegnenden die Patenstelle seines Kindleins anzutragen. Und siehe, ihm begegnete bald ein gar freundlicher Mann, stattlichen Aussehens, wohlgestaltet, nicht alt, nicht jung, mild und gütig von Angesicht, und da kam es dem Armen vor, als neigten sich vor jenem Manne die Bäume und Blümlein und alle Gras- und Getreidehalme. Da dünkte dem Klaus, das müsse der liebe Gott sein, nahm seine schlechte Mütze ab, faltete die Hände und betete ein Vater Unser. Und es war auch der liebe Gott, der wusste, was Klaus wollte, ehe er noch bat, und sprach: »Du suchst einen Paten für dein Kindlein! Wohlan, ich will es dir heben, ich, der liebe Gott!«
»Du bist allzugütig, lieber Gott!« antwortete Klaus verzagt. »Aber ich danke dir; du gibst denen, welche haben, einem Güter, dem andern Kinder, so fehlt es oft beiden am Besten, und der Reiche schwelgt, der Arme hungert!« Auf diese Rede wandte sich der Herr und ward nicht mehr gesehen. Klaus ging weiter, und wie er eine Strecke gegangen war, kam ein Kerl auf ihn zu, der sah nicht nur aus wie der Teufel, sondern war’s auch, und fragte Klaus, wen er suche? Er suche einen Paten für sein Kindlein. »Ei, da nimm mich, ich mach es reich!« »Wer bist du?« fragte Klaus. »Ich bin der Teufel« »Das wäre der Teufel!« rief Klaus, und maß den Mann vom Horn bis zum Pferdefuß. Dann sagte er: »Mit Verlaub, geh heim zu dir und zu deiner Großmutter; dich mag ich nicht zum Gevatter, du bist der Allerböseste! Gott sei bei uns!«
Da drehte sich der Teufel herum, zeigte dem Klaus eine abscheuliche Fratze, füllte die Luft mit Schwefelgestank und fuhr von dannen. Hierauf begegnete dem Kindesvater abermals ein Mann, der war spindeldürr, wie eine Hopfenstange, so dürr, dass er klapperte; der fragte auch: »Wen suchst du?« und bot sich zum Paten des Kindes an. »Wer bist du?« fragte Klaus. »Ich bin der Tod!« sprach jener mit ganz heiserer Summe. Da war der Klaus zu Tod erschrocken, doch fasste er sich Mut, dachte: »Bei dem wäre mein dreizehntes Söhnlein am besten aufgehoben«, und sprach: »Du bist der Rechte! Arm oder reich, du machst es gleich. Topp! Du sollst mein Gevattersmann sein! Stell dich nur ein zu rechter Zeit, am Sonntag soll die Taufe sein.«
Und am Sonntag kam richtig der Tod, und ward ein ordentlicher Dot, das ist Taufpat des Kleinen, und der Junge wuchs und gedieh ganz fröhlich. Als er nun zu den Jahren gekommen war, wo der Mensch etwas erlernen muss, dass er künftighin sein Brot erwerbe, kam zu der Zeit der Pate und hieß ihn mit sich gehen in einen finsteren Wald. Da standen allerlei Kräuter, und der Tod sprach: »Jetzt, mein Pat, sollst du dein Patengeschenk von mir empfangen. Du sollst ein Doktor über alle Doktoren werden durch das rechte wahre Heilkraut, das ich dir jetzt in die Hand gebe. Doch merke, was ich dir sage. Wenn man dich zu einem Kranken beruft, so wirst du meine Gestalt jedes Mal erblicken. Stehe ich zu Häupten des Kranken, so darfst du versichern, dass du ihn gesund machen wollest, und ihm von dem Kraute eingeben; wenn er aber Erde kauen muss, so stehe ich zu des Kranken Füßen; dann sage nur: ›Hier kann kein Arzt der Welt helfen und auch ich nicht.‹ Und brauche ja nicht das Heilkraut gegen meinen mächtigen Willen, so würde es dir übel ergehen!«
Damit ging der Tod von hinnen und der junge Mensch auf die Wanderung und es dauerte gar nicht lange, so ging der Ruf vor ihm her und der Ruhm, dieser sei der größte Arzt auf Erden, denn er sah es gleich den Kranken an, ob sie leben oder sterben würden. Und so war es auch. Wenn dieser Arzt den Tod zu des Kranken Füßen erblickte, so seufzte er, und sprach ein Gebet für die Seele des Abscheidenden; erblickte er aber des Todes Gestalt zu Häupten, so gab er ihm einige Tropfen, die er aus dem Heilkraut presste, und die Kranken genasen. Da mehrte sich sein Ruhm von Tage zu Tage.
Nun geschah es, dass der Wunderarzt in ein Land kam, dessen König schwer erkrankt daniederlag, und die Hofärzte gaben keine Hoffnung mehr seines Aufkommens. Weil aber die Könige am wenigsten gern sterben, so hoffte der alte König noch ein Wunder zu erleben, nämlich dass der Wunderdoktor ihn gesund mache, ließ diesen berufen und versprach ihm den höchsten Lohn. Der König hatte aber eine Tochter, die war so schön und so gut, wie ein Engel.
Als der Arzt in das Gemach des Königs kam, sah er zwei Gestalten an dessen Lager stehen, zu Häupten die schöne weinende Königstochter, und zu Füßen den kalten Tod. Und die Königstochter flehte ihn so rührend an, den geliebten Vater zu retten, aber die Gestalt des finstern Paten wich und wankte nicht. Da sann der Doktor auf eine List. Er ließ von raschen Dienern das Bette des Königs schnell umdrehen, und gab ihm geschwind einen Tropfen vom Heilkraut, also dass der Tod betrogen war, und der König gerettet. Der Tod wich erzürnt von hinnen, erhob aber drohend den langen knöchernen Zeigefinger gegen seinen Paten.
Dieser war in Liebe entbrannt gegen die reizende Königstochter, und sie schenkte ihm ihr Herz aus inniger Dankbarkeit. Aber bald darauf erkrankte sie schwer und heftig, und der König, der sie über alles liebte, ließ bekannt machen, welcher Arzt sie gesund mache, der solle ihr Gemahl und hernach König werden. Da flammte eine hohe Hoffnung durch des Jünglings Herz, und er eilte zu der Kranken – aber zu ihren Füßen stand der Tod. Vergebens warf der Arzt seinem Paten flehende Blicke zu, dass er seine Stelle verändern und ein wenig weiter hinauf, wo möglich bis zu Häupten der Kranken treten möge. Der Tod wich nicht von der Stelle, und die Kranke schien im Verscheiden, doch sah sie den Jüngling um ihr Leben flehend an. Da übte des Todes Pate noch einmal seine List, ließ das Lager der Königstochter schnell umdrehen, und gab ihr geschwind einige Tropfen vom Heilkraut, so dass sie wieder auflebte, und den Geliebten dankbar anlächelte. Aber der Tod warf seinen tödlichen Hass auf den Jüngling, fasste ihn an mit eiserner, eiskalter Hand und führte ihn von dannen, in eine weite, unterirdische Höhle. In der Höhle da brannten viele tausend Kerzen, große und halbgroße und kleine und ganz kleine; viele verloschen und andere entzündeten sich, und der Tod sprach zu seinem Paten: »Siehe, hier brennt eines jeden Menschen Lebenslicht; die großen sind den Kindern, die halbgroßen sind den Leuten, die in den besten Jahren stehen, die kleinen den Alten und Greisen, aber auch Kinder und Junge haben oft nur ein kleines bald verlöschendes Lebenslicht.«
»Zeige mir doch das meine!« bat der Arzt den Tod, da zeigte dieser auf ein ganz kleines Stümpchen, das bald zu erlöschen drohte. »Ach liebster Pate!« bat der Jüngling: »wolle mir es doch erneuen, damit ich meine schöne Braut, die Königstochter, freien, ihr Gemahl und König werden kann!«
»Das geht nicht«, versetzte kalt der Tod. »Erst muss eins ganz ausbrennen, ehe ein neues auf- und angesteckt wird.«
»So setze doch gleich das alte auf ein neues!« sprach der Arzt – und der Tod sprach: »Ich will so tun!« Nahm ein langes Licht, tat als wollte er es aufstecken, versah es aber absichtlich und stieß das kleine um, dass es erlosch. In demselben Augenblick sank der Arzt um und war tot.
Wider den Tod kein Kraut gewachsen ist.

Hintergründe
Interpretationen
Analyse
Das Märchen „Gevatter Tod“ von Ludwig Bechstein behandelt das Thema des unausweichlichen Schicksals und der Macht des Todes über das Leben. Die Geschichte beginnt mit einem armen Mann namens Klaus, der gezwungen ist, einen Paten für sein dreizehntes Kind zu finden. Nachdem Gott und der Teufel als Paten unpassend erscheinen, entscheidet sich Klaus für den Tod, der ihm erscheint. Der Tod ist gleichmäßig in seiner Behandlung aller Menschen, ob arm oder reich, was Klaus als Vorteil sieht.
Der Tod schenkt dem Patenkind, als es erwachsen wird, die Gabe eines besonderen Heilkräuters und die Fähigkeit, das Unvermeidliche zu sehen: den Tod eines Menschen. Bei Kranken kann der junge Mann sehen, ob sie leben werden oder sterben müssen, je nachdem, wo der Tod sich im Krankenzimmer befindet.
Die Geschichte eskaliert, als der nun berühmte Arzt das Leben eines unheilbar kranken Königs rettet, indem er den Tod betrügt. Infolgedessen wird der Arzt vom Tod gewarnt. Später versucht er dasselbe Manöver, um die Königstochter, in die er verliebt ist, zu retten, und wieder betrügt er den Tod. Dies führt jedoch zum Zorn des Todes, der den Arzt zu einer Höhle voller Lebenslichter führt, die jeweils die Lebensspanne eines Menschen darstellen.
Auf die Bitte des Arztes, sein eigenes schwaches Lebenslicht zu verlängern, täuscht der Tod Zustimmung vor, lässt jedoch absichtlich das Licht des Arztes erlöschen. So stirbt der Arzt, lernend, dass gegen den Tod kein Kraut gewachsen ist. Dieses Märchen lehrt uns über die Unvermeidlichkeit des Todes und die Grenzen der menschlichen Macht und List. Es erinnert daran, dass trotz Wissen und Fähigkeiten der Tod unbestechlich und das Schicksal oft unveränderlich bleibt.
„Gevatter Tod“, ein Märchen von Ludwig Bechstein, bietet eine tiefgründige Betrachtung über das Leben, den Tod und die menschliche Natur. Diese Geschichte handelt von einem armen Mann namens Klaus, der für sein dreizehntes Kind einen Paten sucht. Nachdem er sowohl Gott als auch den Teufel abgelehnt hat, entscheidet er sich für den Tod als Paten.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, dieses Märchen zu interpretieren:
Gleichheit im Tod: Der Tod wird in der Erzählung als der ultimative Gleichmacher dargestellt. Er macht keinen Unterschied zwischen Reich und Arm, was in der Entscheidung des Vaters, den Tod als Paten zu wählen, zum Ausdruck kommt. Klaus erkennt, dass der Tod für alle Menschen gleich ist, unabhängig von ihrem weltlichen Status.
Der Mensch gegen das Unvermeidliche: Der junge Mann, der durch die Hilfe des Todes ein berühmter Arzt wird, versucht das Unvermeidliche zu überlisten. Trotz seines Wissens und seiner List ist er letztlich machtlos gegenüber dem Vorherbestimmten. Die Geschichte zeigt, dass menschlicher Verstand und Fähigkeiten Grenzen haben, insbesondere wenn sie den natürlichen Lauf des Lebens in Frage stellen.
Ethik und Verantwortung: Die Geschichte wirft auch ethische Fragen auf. Der junge Arzt nutzt sein Wissen, um den Tod auszutricksen, was jedoch letztlich Konsequenzen hat. Dies stellt die Frage nach der moralischen Verantwortung von jemandem in einer privilegierten Position, der versucht, das Schicksal zu beeinflussen.
Vergänglichkeit des Lebens: Die Kerzen in der Höhle, die die Lebenslichter der Menschen repräsentieren, symbolisieren die Vergänglichkeit des Lebens. Das schnelle Erlöschen der Kerze, die das Leben des Arztes darstellt, erinnert daran, dass das Leben jederzeit enden kann und dass man jede Gelegenheit schätzen sollte.
Ludwig Bechsteins Märchen vermittelt eine lehrreiche Botschaft über die Begrenztheit menschlicher Macht und das Unvermeidliche des Todes. Es lädt den Leser ein, über das eigene Leben, die Wertschätzung der gegebenen Zeit und die Gleichheit des Todes nachzudenken.
Die linguistische Analyse von Ludwig Bechsteins Märchen „Gevatter Tod“ bietet eine faszinierende Einsicht in die strukturellen und thematischen Aspekte des Werks. Im Folgenden werde ich einige wichtige Punkte dieser Analyse hervorheben:
Erzählstruktur und Sprache:
Einfache Syntax: Die Erzählstruktur ist typisch für Märchen mit einer einfachen Syntax, die eine klare und leicht verständliche Geschichte ermöglicht. Dies ist besonders bedeutsam, da Märchen oft mündlich überliefert wurden und daher zugänglich für Zuhörer aller Altersgruppen und Bildungsniveaus sein mussten.
Direkte Rede: Der Text nutzt direkte Rede, um Charaktere lebendig und ihre Absichten klar zu machen. Gespräche zwischen Klaus und den übernatürlichen Wesen verleihen dem Märchen Dramatik.
Charakterisierung und Symbolik:
Charakterisierung durch Sprache: Die Charaktere werden oft durch spezifische Begriffe und Sprachbilder charakterisiert – der Tod ist „spindeldürr“ und hat eine „heisere Stimme“, während Gott als „freundlicher Mann, stattlichen Aussehens“ beschrieben wird.
Symbolik: Es gibt reichlich Symbolik, wie zum Beispiel die „Lebenslichter“ in der Höhle des Todes, die das menschliche Leben darstellen. Auch die Kräuter sind ein symbolisches Element, das für Heilung, aber auch für die Grenzen menschlicher Macht steht.
Themen und Motive:
Motive des Schicksals und der Gerechtigkeit: Das Märchen behandelt das unausweichliche Schicksal und das Gleichgewicht von Arm und Reich, Leben und Tod. Klaus akzeptiert den Tod als Paten mit dem Gedanken, dass dieser gerecht sei, da er alle Menschen gleich behandelt.
Die Grenzen menschlicher Kontrolle: Trotz großer ärztlicher Fähigkeiten des Jungen bleibt der Einfluss des Todes unveränderbar, was die Grenzen menschlichen Handelns und die Allmacht des Schicksals symbolisiert.
Stilmittel:
Wiederholungen und Formeln: Typisch für Märchen sind Wiederholungen und formelhafte Wendungen, die er den Charakteren bestimmten Ausdrucksstil verleihen und dem Leser Vertrautheit in der Erzählung bieten.
Personifikationen: Abstrakte Konzepte wie der Tod werden personifiziert, was sie greifbar und erzählerisch kraftvoll macht.
Moral und Botschaft:
Existenzielle Fragen: Das Märchen thematisiert existenzielle Fragen nach Leben, Tod und dem Streben nach Unsterblichkeit durch die List gegen den Tod. Am Ende bleibt die Botschaft, dass der Tod unvermeidlich ist und dass jedes Leben sein unveränderliches Ende hat.
Kritik an Gesellschaft: Das Märchen kann auch als Kritik an einer Gesellschaft gelesen werden, in der Reichtum und soziale Stellung das Streben nach Macht und Einfluss bestimmen, jedoch letztendlich nichts gegen das Schicksal ausrichten können.
Insgesamt offenbart Bechsteins „Gevatter Tod“ durch seine einfache, aber effektive Sprache und symbolische Tiefe eine Erzählung, die nicht nur unterhält, sondern auch zum Nachdenken über grundlegende menschliche Themen anregt.
Informationen für wissenschaftliche Analysen
Kennzahl | Wert |
---|---|
Lesbarkeitsindex nach Amstad | 64.1 |
Lesbarkeitsindex nach Björnsson | 42.8 |
Flesch-Reading-Ease Index | 50.8 |
Flesch–Kincaid Grade-Level | 12 |
Gunning Fog Index | 13.1 |
Coleman–Liau Index | 12 |
SMOG Index | 12 |
Automated Readability Index | 12 |
Zeichen-Anzahl | 1.632 |
Anzahl der Buchstaben | 1.308 |
Anzahl der Sätze | 10 |
Wortanzahl | 267 |
Durchschnittliche Wörter pro Satz | 26,70 |
Wörter mit mehr als 6 Buchstaben | 43 |
Prozentualer Anteil von langen Wörtern | 16.1% |
Silben gesamt | 407 |
Durchschnittliche Silben pro Wort | 1,52 |
Wörter mit drei Silben | 24 |
Prozentualer Anteil von Wörtern mit drei Silben | 9% |