Vorlesezeit für Kinder: 8 min
Es fuhr einmal ein armes Dienstmädchen mit seiner Herrschaft durch einen großen Wald, und als sie mitten darin waren, kamen Räuber aus dem Dickicht hervor und ermordeten, wen sie fanden. Da kamen alle miteinander um bis auf das Mädchen, das war in der Angst aus dem Wagen gesprungen und hatte sich hinter einem Baum verborgen. Wie die Räuber mit ihrer Beute fort waren, trat es herbei und sah das große Unglück. Da fing es an bitterlich zu weinen und sagte: „Was soll ich armes Mädchen nun anfangen, ich weiß mich nicht aus dem Wald herauszufinden, keine Menschenseele wohnt darin, so muss ich gewiss verhungern.“ Es ging herum, suchte einen Weg, konnte aber keinen finden. Als es Abend war, setzte es sich unter einen Baum, befahl sich Gott und wollte da sitzen bleiben und nicht weggehen, möchte geschehen, was immer wollte.
Als es aber eine Weile da gesessen hatte, kam ein weiß Täubchen zu ihm geflogen und hatte ein kleines, goldenes Schlüsselchen im Schnabel. Das Schlüsselchen legte es ihm in die Hand und sprach: „Siehst du dort den großen Baum, daran ist ein kleines Schloss, das schließ mit dem Schlüsselchen auf, so wirst du Speise genug finden und keinen Hunger mehr leiden.“ Da ging es zu dem Baum und schloss ihn auf und fand Milch in einem kleinen Schüsselchen und Weißbrot zum Einbrocken dabei, dass es sich satt essen konnte. Als es satt war, sprach es: „Jetzt ist es Zeit, wo die Hühner daheim auffliegen, ich bin so müde, könnt ich mich doch auch in mein Bett legen.“
Da kam das Täubchen wieder geflogen und brachte ein anderes goldenes Schlüsselchen im Schnabel und sagte: „Schließ dort den Baum auf, so wirst du ein Bett finden.“ Da schloss es auf und fand ein schönes, weiches Bettchen; da betete es zum lieben Gott, er möchte es behüten in der Nacht, legte sich und schlief ein. Am Morgen kam das Täubchen zum dritten Mal, brachte wieder ein Schlüsselchen und sprach: „Schließ dort den Baum auf, da wirst du Kleider finden,“ und wie es aufschloss, fand es Kleider, mit Gold und Edelsteinen besetzt, so herrlich, wie sie keine Königstochter hat. Also lebte es da eine Zeitlang, und kam das Täubchen alle Tage und sorgte für alles, was es bedurfte, und war das ein stilles, gutes Leben.
Einmal aber kam das Täubchen und sprach: „Willst du mir etwas zuliebe tun?“
„Von Herzen gerne,“ sagte das Mädchen. Da sprach das Täubchen: „Ich will dich zu einem kleinen Häuschen führen, da geh hinein, mittendrein am Herd wird eine alte Frau sitzen und „Guten Tag“ sagen. Aber gib ihr beileibe keine Antwort, sie mag auch anfangen, was sie will, sondern geh zu ihrer rechten Hand weiter, da ist eine Türe, die mach auf, so wirst du in eine Stube kommen, wo eine Menge von Ringen allerlei Art auf dem Tisch liegt, darunter sind prächtige mit glitzerigen Steinen, die lass aber liegen und suche einen schlichten heraus, der auch darunter sein muss, und bring ihn zu mir her, so geschwind du kannst.“
Das Mädchen ging zu dem Häuschen und trat zu der Türe ein; da saß eine Alte, die machte große Augen, wie sie es erblickte, und sprach: „Guten Tag, mein Kind.“ Es gab ihr aber keine Antwort und ging auf die Türe zu. „Wohinaus?“ rief sie und fasste es beim Rock und wollte es festhalten, „das ist mein Haus, da darf niemand herein, wenn ich’s nicht haben will.“ Aber das Mädchen schwieg still, machte sich von ihr los und ging gerade in die Stube hinein. Da lag nun auf dem Tisch eine übergroße Menge von Ringen, die glitzerten und glimmerten ihm vor den Augen; es warf sie herum und suchte nach dem schlichten, konnte ihn aber nicht finden.
Wie es so suchte, sah es die Alte, wie sie daherschlich und einen Vogelkäfig in der Hand hatte und damit fort wollte. Da ging es auf sie zu und nahm ihr den Käfig aus der Hand, und wie es ihn aufhob und hineinsah, saß ein Vogel darin, der hatte den schlichten Ring im Schnabel. Da nahm es den Ring und lief ganz froh damit zum Haus hinaus und dachte, das weiße Täubchen würde kommen und den Ring holen, aber es kam nicht.
Da lehnte es sich an einen Baum und wollte auf das Täubchen warten, und wie es so stand, da war es, als wäre der Baum weich und biegsam und senkte seine Zweige herab. Und auf einmal schlangen sich die Zweige um es herum und waren zwei Arme, und wie es sich umsah, war der Baum ein schöner Mann, der es umfasste und herzlich küsste und sagte: „Du hast mich erlöst und aus der Gewalt der Alten befreit, die eine böse Hexe ist. Sie hatte mich in einen Baum verwandelt, und alle Tage ein paar Stunden war ich eine weiße Taube, und solang sie den Ring besaß, konnte ich meine menschliche Gestalt nicht wiedererhalten.“
Da waren auch seine Bedienten und Pferde von dem Zauber frei, die sie auch in Bäume verwandelt hatte, und standen neben ihm. Da fuhren sie fort in sein Reich, denn er war eines Königs Sohn, und sie heirateten sich und lebten glücklich.
Hintergründe zum Märchen „Die Alte im Wald“
„Die Alte im Wald“ ist ein deutsches Märchen, das von den Gebrüdern Grimm mit der Märchennummer 123 gesammelt wurde. Es ist Aarne-Thompson Typ 442.
Handlung und Zusammenfassung des Märchen
Ein schönes, aber armes Dienstmädchen reiste mit der Familie, für die sie arbeitete, als Räuber sie überfielen. Sie versteckte sich hinter einem Baum, aber sonst überlebte niemand. Sie beklagte ihr Schicksal, und eine Taube kam mit einem goldenen Schlüssel zu ihr. Sie sagte ihr, sie solle einen Baum aufschließen, und dort fand sie Nahrung. Am Abend brachte sie ihr eines zu einem Baum mit einem Bett. So lebte sie viele Tage lang. Als die Taube sie bat, etwas für sie zu tun, willigte sie ein. Sie sagte ihr, sie solle zu einem Haus gehen und hineingehen. Eine alte Frau würde sie begrüßen, aber sie sollte nicht antworten. Sie sollte eine innere Tür öffnen, die einen Raum voller prächtiger Ringe enthüllt, aber sie sollte eine einfache nehmen.
Die alte Frau war ziemlich wütend, aber das Mädchen hörte nicht auf sie. Dann, als sie den schlichten Ring nicht sehen konnte, sah sie, wie die alte Frau versuchte, einen Vogelkäfig zu entführen. Sie nahm ihn ihr weg. Sie hielt einen Vogel, der den Ring in seinem Schnabel hielt, also nahm sie ihn mit nach draußen und wartete an einem Baum. Zwei Äste wurden um sie herum zu Armen, als der Baum sich in einen schönen Mann verwandelte, der sie küsste. Er erzählte ihr, dass die alte Frau eine Hexe war, die ihn in einen Baum verwandelt hatte, und zwei Stunden am Tag wurde er zu einer Taube, und sie hatte ihn befreit. Alle seine Begleiter verwandelten sich ebenfalls von Bäumen in Menschen zurück. Da der Prinz ein Königssohn war, gingen sie in das Königreich seines Vaters und heirateten.
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