Vorlesezeit für Kinder: 5 min
Es war einmal ein Königssohn, der ging hinaus in das Feld und war nachdenklich und traurig. Er sah den Himmel an, der war so schön rein und blau, da seufzte er und sprach „wie wohl muss einem erst da oben im Himmel sein!“ Da erblickte er einen armen greisen Mann, der des Weges daherkam, redete ihn an und fragte „wie kann ich wohl in den Himmel kommen?“
Der Mann antwortete „durch Armut und Demut. Leg an meine zerrissenen Kleider, wandere sieben Jahre in der Welt und lerne ihr Elend kennen: nimm kein Geld, sondern wenn du hungerst, bitte mitleidige Herzen um ein Stückchen Brot, so wirst du dich dem Himmel nähern.“
Da zog der Königssohn seinen prächtigen Rock aus und hing dafür das Bettlergewand um, ging hinaus in die weite Welt und duldete groß Elend. Er nahm nichts als ein wenig Essen, sprach nichts, sondern betete zu dem Herrn, dass er ihn einmal in seinen Himmel aufnehmen wollte. Als die sieben Jahre herum waren, da kam er wieder an seines Vaters Schloss, aber niemand erkannte ihn.
Er sprach zu den Dienern „geht und sage meinen Eltern, dass ich wiedergekommen bin.“ Aber die Diener glaubten es nicht, lachten und ließen ihn stehen. Da sprach er „geht und sagt’s meinen Brüdern, dass sie herabkommen, ich möchte sie so gerne wiedersehen.“
Sie wollten auch nicht, bis endlich einer von ihnen hinging und es den Königskindern sagte, aber diese glaubten es nicht und bekümmerten sich nicht darum. Da schrieb er einen Brief an seine Mutter und beschrieb ihr darin all sein Elend, aber er sagte nicht, dass er ihr Sohn wäre. Da ließ ihm die Königin aus Mitleid einen Platz unter der Treppe anweisen und ihm täglich durch zwei Diener Essen bringen.
Aber der eine war bös und sprach „was soll dem Bettler das gute Essen!,“ behielt’s für sich oder gab’s den Hunden und brachte dem Schwachen, Abgezehrten nur Wasser. Doch der andere war ehrlich und brachte ihm, was er für ihn bekam.
Es war wenig, doch konnte er davon eine Zeit lang leben. Dabei war er ganz geduldig, bis er immer schwächer ward. Als aber seine Krankheit zunahm, da begehrte er das heilige Abendmahl zu empfangen. Wie es nun unter der halben Messe ist, fangen von selbst alle Glocken in der Stadt und in der Gegend an zu läuten.
Der Geistliche geht nach der Messe zu dem armen Mann unter der Treppe, so liegt er da tot, in der einen Hand eine Rose, in der anderen eine Lilie, und neben ihm ein Papier, darauf steht seine Geschichte auf geschrieben. Als er begraben war, wuchs auf der einen Seite des Grabes eine Rose, auf der anderen eine Lilie heraus.

Hintergründe zum Märchen „Armut und Demut führen zum Himmel“
„Armut und Demut führen zum Himmel“ (KHM 204) ist eine der Kinderlegenden aus dem Anhang der Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm. Die Geschichte stammt aus dem Paderborner Land und wurde den Brüdern Grimm von der Familie Haxthausen zugeschrieben. Die Legende basiert auf der Geschichte des Heiligen Alexius, der im 5./6. Jahrhundert lebte. Die syrische Sage ist die älteste bekannte Fassung der Legende.
Im Laufe der Zeit entwickelte sich die Legende des Heiligen Alexius zu einem Märchen. Dies zeigt sich beispielsweise darin, dass aus dem Römer Alexius ein Königssohn wird. Die Rose und die Lilie, die in dieser Fassung der Geschichte neu hinzugekommen sind, sind allgemein Symbole für Reinheit und Unschuld Verstorbener. Die Geschichte idealisiert das mittelalterliche Asketenideal, indem der Prinz auf Reichtum und Anerkennung verzichtet und stattdessen ein Leben in Armut und Demut führt. Dies spiegelt sich in seiner siebenjährigen Wanderschaft und seiner Entscheidung wider, auf Geld zu verzichten und die Kleidung eines Bettlers anzulegen.
Das Märchen vermittelt die Botschaft, dass Demut und Armut zu einem erfüllten Leben und schließlich zum Himmel führen können. Es zeigt, dass materieller Reichtum und Status nicht immer Glück und Erfüllung bringen. „Armut und Demut führen zum Himmel“ ist in verschiedenen literarischen Werken und in vielen Kulturen zu finden, was auf die universelle Anziehungskraft der Geschichte und ihrer Botschaft hindeutet.
Interpretationen zum Märchen „Armut und Demut führen zum Himmel“
Das Märchen „Armut und Demut führen zum Himmel“ (KHM 204) von den Gebrüdern Grimm bietet eine Vielzahl von Interpretationsmöglichkeiten. Hier sind einige der möglichen Interpretationen:
Geistige und moralische Werte: Eine zentrale Interpretation des Märchens liegt in der Bedeutung von geistigen und moralischen Werten gegenüber materiellem Reichtum und weltlichem Status. Der Prinz wählt ein Leben in Armut und Demut, was ihm letztendlich zum Himmel verhilft. Diese Interpretation zeigt, dass innere Werte und persönliche Entwicklung wichtiger sind als äußere Umstände und gesellschaftlicher Status.
Entsagung und Selbstfindung: Eine weitere Interpretation bezieht sich auf den Aspekt der Entsagung und Selbstfindung. Der Prinz verlässt sein Zuhause und sein königliches Leben, um sich auf eine spirituelle Reise zu begeben. Durch die Entsagung von Reichtum und der Annahme von Demut und Armut erfährt er eine innere Transformation und findet seinen wahren Wert.
Opfer und Belohnung: Das Märchen zeigt auch die Bedeutung von Opfern und die daraus resultierenden Belohnungen. Der Prinz opfert seinen königlichen Status und seine Identität, um ein Leben in Armut und Demut zu führen. Am Ende wird er mit einer symbolischen Belohnung – einer Rose und einer Lilie – geehrt, die seine Reinheit und Unschuld widerspiegeln und darauf hindeuten, dass er den Himmel erreicht hat.
Kritik an der Gesellschaft und sozialer Ungerechtigkeit: Eine andere Interpretation des Märchens betrachtet es als Kritik an der Gesellschaft und ihrer Behandlung von Menschen am unteren Ende der sozialen Hierarchie. Der Prinz, als Bettler verkleidet, wird von seiner eigenen Familie und den Dienern schlecht behandelt und ignoriert, was die sozialen Vorurteile und Ungerechtigkeiten seiner Zeit offenlegt.
Bedeutung der Demut: Eine wichtige Botschaft des Märchens ist die Wertschätzung von Demut als Tugend. Der Prinz wählt bewusst ein Leben der Demut und bleibt geduldig und bescheiden, selbst als er unter der Treppe leben muss und von seinen Dienern betrogen wird. Diese Haltung wird als Vorbild für den Leser dargestellt und zeigt die Kraft und Würde, die in der Demut liegen.
Diese verschiedenen Interpretationen bieten unterschiedliche Perspektiven auf das Märchen und zeigen, wie es unterschiedliche Aspekte des menschlichen Lebens und der Gesellschaft anspricht. Es zeigt, dass Demut und Armut eine innere Erfüllung und spirituelle Erfahrung ermöglichen können, die materiellen Reichtum und äußere Umstände übertreffen.
Adaptionen zum Märchen „Armut und Demut führen zum Himmel“
Das Märchen „Armut und Demut führen zum Himmel“ (KHM 204) von den Gebrüdern Grimm hat zwar nicht so viele Adaptionen und Bearbeitungen wie einige der bekannteren Grimm’schen Märchen, aber es gibt dennoch einige Beispiele, in denen es in unterschiedlichen Medien umgesetzt wurde. Hier sind einige konkrete Beispiele für Adaptionen:
Theater: „Der Bettlerprinz“ ist ein Theaterstück von Arpad Bondy, das auf dem Märchen basiert. In dieser Bühnenadaption wird die Geschichte des Prinzen erzählt, der sich als Bettler ausgibt, um seine wahre Liebe zu finden.
Musik: In der deutschen Volksmusik gibt es einige Lieder, die auf dem Märchen basieren oder dessen Motive aufgreifen. Eines davon ist „Der Bettelprinz“, ein Volkslied, das die Geschichte des Prinzen erzählt, der sich als Bettler verkleidet, um die Liebe einer einfachen Frau zu gewinnen.
Literatur: „Das Rosenlilienwunder“ von Margarete Kubel ist eine literarische Adaption des Märchens, in der die Geschichte des Prinzen und seiner spirituellen Reise erzählt wird. Die Autorin fügt der Geschichte neue Elemente und Charaktere hinzu, die den ursprünglichen Handlungsbogen erweitern und vertiefen.
Illustrationen und Bilderbücher: Otto Ubbelohde, ein bekannter deutscher Illustrator, hat das Märchen „Armut und Demut führen zum Himmel“ im Jahr 1909 illustriert. Seine Illustrationen sind in vielen Ausgaben der Grimm’schen Märchen zu finden und bringen die Geschichte des Prinzen und seine Wanderschaft auf eindrucksvolle Weise zum Leben.
Obwohl es keine großen Film- oder Fernsehadaptionen des Märchens gibt, bieten die oben genannten Beispiele verschiedene Perspektiven auf die Geschichte und zeigen, wie sie in unterschiedlichen Medien und künstlerischen Ausdrucksformen umgesetzt wurde. Diese Adaptionen erweitern und vertiefen die ursprüngliche Geschichte und tragen dazu bei, die Botschaft von Armut, Demut und innerer Erfüllung einem breiteren Publikum nahezubringen.
Zusammenfassung der Handlung
In dem Märchen „Armut und Demut führen zum Himmel“ (KHM 204) von den Gebrüdern Grimm geht es um einen Prinzen, der beschließt, ein Leben in Armut und Demut zu führen, um den Himmel zu erreichen. Der Prinz betrachtet den Himmel und wünscht sich, hinaufzusteigen. Ein alter Bettler gibt ihm den Rat, seine königlichen Kleider abzulegen und stattdessen Bettlerkleidung anzuziehen. Der Prinz folgt dem Rat und begibt sich auf eine siebenjährige Wanderschaft, während der er kein Geld annimmt. Als er zurückkehrt, erkennt ihn niemand wieder.
Die Diener wollen den vermeintlichen Bettler nicht ins Schloss lassen und informieren nur widerwillig seine Brüder, die sich ebenfalls nicht um ihn kümmern. Der Prinz schreibt seiner Mutter, ohne seine wahre Identität preiszugeben. Sie hat Mitleid mit ihm und lässt ihn unter der Treppe wohnen. Einer der Diener, der dem Prinzen Essen bringen soll, behält es jedoch für sich. Der Prinz wird immer schwächer, bis er schließlich das Abendmahl verlangt. Als der Pfarrer nach der Messe kommt, ist der Prinz bereits gestorben. In seinen Händen hält er eine Rose und eine Lilie – Symbole der Reinheit und Unschuld. Neben ihm liegt ein Papier, auf dem seine Geschichte geschrieben steht. Aus seinem Grab wachsen eine Rose und eine Lilie, die seine Reinheit und den Zugang zum Himmel symbolisieren.
Informationen für wissenschaftliche Analysen
Kennzahl | Wert |
---|---|
Nummer | KHM 204 |
Übersetzungen | DE, EN |
Lesbarkeitsindex nach Amstad | 75.7 |
Lesbarkeitsindex nach Björnsson | 34.2 |
Flesch-Reading-Ease Index | 64.4 |
Flesch–Kincaid Grade-Level | 9.1 |
Gunning Fog Index | 9.6 |
Coleman–Liau Index | 10.8 |
SMOG Index | 10.2 |
Automated Readability Index | 9.5 |
Zeichen-Anzahl | 2.562 |
Anzahl der Buchstaben | 2.010 |
Anzahl der Sätze | 23 |
Wortanzahl | 445 |
Durchschnittliche Wörter pro Satz | 19,35 |
Wörter mit mehr als 6 Buchstaben | 66 |
Prozentualer Anteil von langen Wörtern | 14.8% |
Silben gesamt | 646 |
Durchschnittliche Silben pro Wort | 1,45 |
Wörter mit drei Silben | 34 |
Prozentualer Anteil von Wörtern mit drei Silben | 7.6% |